Bewusstsein und Leid

Aber kann eine Philosophie, deren Ausgangspunkt das Bewusstsein ist, viel mit dem Dasein gemein haben? Das Bewusstsein als solches ist doch dem Leben gleichgültig. Das Leben kennt nur die Kategorien von Leid und Vergnügen. Nur in den Möglichkeiten Schmerz und Lust existiert die Welt für uns. Solange es kein Bewusstsein von Schmerz oder Lust ist, ist das Bewusstsein für uns ohne Belang. Ich habe mir die Existenz dieses Baumes bewusst gemacht – ja und? Er wärmt mich nicht, er macht mich nicht frieren. Bewusstgewordenes Sein ist kein Sein – solange meine Sinne es nicht empfinden. Wichtig ist bist das bewusstgemachte, sondern das empfundene Sein. Das Bewusstsein muss also ein Bewusstsein der Empfindungsfähigkeit sein, nicht unmittelbares Bewusstsein des Seins.

Das Leid aber (und also auch das Vergnügen) steht seinem Wesen nach im Widerspruch zum Begriff der Freiheit. Zu sagen, dass wir uns eine gewisse, grundsätzliche Möglichkeit von Freiheit angesichts des Leidens bewahren (die an der Sinnhaftigkeit unseres Wertesystems hinge; und sei es auch nur die Freiheit “in der Situation”), hiesse diesem Wort überhaupt jeden Sinn zu rauben. Das Leiden ist etwas, das ich nicht will, das ich erleiden muss, entscheidend ist hier der Zwang, also der Mangel an Freiheit. Es gibt wohl kaum einen grösseren Gegensatz als den zwischen Leiden und Freiheit.

Witold Gombrowicz, Berliner Notizen (Tagebuch 1964), Berlin 2013, 79