Heilige Nacht

by | May 27, 2014 | Das Buch, Unsere Helden, Unsere Tode | 2 comments

In der Ballad of Reading Goal, der Ballade vom Zuchthaus zu Reading, die Oscar Wilde 1897 schreibt, ein halbes Jahr nachdem er aus diesem Gefängnis entlassen wurde, wo er wegen Homosexualität zwei Jahre verbracht hat, heisst es an einer Stelle:

Like two doomed ships that pass in storm
We had crossed each other’s way:
But we made no sign, we said no word,
We had no word to say;
For we did not meet in the holy night,
But in the shameful day.

Das beschreibt wohl die meisten unserer Begegnungen. Vielleicht besteht darin gar das Malaise unserer Zeit: zuviel Tag, zuwenig Nacht.

Die Ballade ist ein Juwel. (Merkwürdig erscheint mir heute angesichts ihrer Länge allerdings, dass ich sie einst ohne Mühe vollständig auswendig hersagen konnte). Wilde ist immer gut, aber Gefängnis und Zwangsarbeit haben kalte Glut entstehen lassen, die ihresgleichen sucht und an der er dann innert zweier Jahre zugrunde gehen wird. Nicht aber, ohne etwas zu notieren – und das ist das eigentliche Thema der Ballade –, das klarsichtiger und zutreffender ist als das meiste, was je über die Liebe gesagt wurde (und deshalb wohl auch so verwirrend und bedrückend):

Yet each man kills the thing he loves
By each let this be heard,
Some do it with a bitter look,
Some with a flattering word,
The coward does it with a kiss,
The brave man with a sword!

Some kill their love when they are young,
And some when they are old;
Some strangle with the hands of Lust,
Some with the hands of Gold:
The kindest use a knife, because
The dead so soon grow cold.

Some love too little, some too long,
Some sell, and others buy;
Some do the deed with many tears,
And some without a sigh:
For each man kills the thing he loves,
Yet each man does not die.

Fürchterlich. Das Einzige, was dem Tod zu widerstehen, ihn zu besiegen vermag, ist selbst mörderischen Charakters. Tatsächlich. So verstörend dies sein mag, so zutreffend ist es doch.

Jeder in seiner eigenen Nacht. Besonders tagsüber.

2 Comments

  1. Klein Mü

    Ich möchte mich nicht zu sehr auf Intertextualität versteifen, aber der erste zitierte Abschnitt erinnert mich immer sehr an eine Stelle in Henry Wadsworth-Longfellows “Tales Of A Wayside Inn”:

    “Ships that pass in the night, and speak each other in passing,
    Only a signal shown and a distant voice in the darkness;
    So on the ocean of life we pass and speak one another,
    Only a look and a voice, then darkness again and a silence.”
    (Tales of A Wayside Inn. Part III. The Theologian’s Tale, Elizabeth IV.)

    Dennoch ist es Wildes Werk, das im Gegensatz zu Longfellows, zu jenen wenigen Kunstwerken gehört, die mich zum weinen bringen. Immer wieder.

    Reply
    • Filifjonka

      Ja, völlig richtig. Das mag Wilde im Gefängnis im Ohr gewesen sein. Vielleicht hatte er ja in der Gefängnis-Bibliothek sogar Zugang zu Longfellow. (Weiss ich natürlich nicht). Longfellow würde jedenfalls gut ins Gefängnis passen: Kein wirkliches Risiko für irgendeinen Leser.

      Reply

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  1. Die Welt in Grün | - […] Ja, die Liebe, die Liebe ist ein höchst gefährliches, ein seltsam mörderisches Tier. […]

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