Gott liebt das Meer

by | Jul 22, 2014 | Die Bemerkung, Führer der Unschlüssigen, Unsere Tode | 0 comments

Wir hatten von Scarlattis Sonate K87 gesprochen und der irritierenden Erkenntnis, dass Leiden immer nebenher geschieht. Dass überhaupt Leid existiert, dass es sich nicht verhindern und kaum lindern lässt, ist schwer erträglich.


Wenn die bestmögliche Schöpfung nur die best­mög­li­che ist und unvermeidlich Übel einschließt, warum hat Gott das Schaffen dann nicht bleiben lassen?

Odo Marquard: Entlastungen. Theodizeemotive in der neuzeitlichen Phi­lo­sophie – in: Apologie des Zufälligen. Philosophie Studien. Stuttgart: Rec­lam 1987, 17


Leid aber ist unsere einzige stabile und zuverlässig Verbindung mit der Welt, unsere einzige Gewissheit. Denn der Tod, der doch so gewiss und mächtig scheint, ist ein Schwächling, vermag nichts, aber gar nichts gegen die Liebe. (Deshalb unsere Verpflichtung zur Liebe, solange wir dem Leben nicht den Rücken kehren. Hören wir aber auf zu lieben, so sind wir bereits tot, auch wenn wir es nicht immer bemerken.) Auch ist der scheinbar so allmächtige Tod manchmal einfach nicht da, schläft oder ruht sich aus, oder ist anderweitig beschäftigt. Und in diesen seltenen und kurzen Momenten sind wir tatsächlich unsterblich. An sie erinnern wir uns ein ganzes Leben lang.

Leid aber ist immer da, lässt sich nicht besiegen, nur lindern, wenn überhaupt. Unsere einzige Alternative zum Tod ist die Liebe, in der Liebe aber ist der Schmerz zuhause. Liebe muss nicht notwendig unglücklich sein, häufig aber ist sie es, zumindest wenn sie gross ist, da sie so überhaupt nicht in unsere kleine Zwergenwelt passt. Nicht weil sie selbst unglücklich macht, sondern weil sie unsere Verletzlichkeit steigert, denn nicht nur wir selbst sind dem Schmerz zugänglich (dagegen haben wir im Verlaufe der Jahre gelernt, uns einigermassen zu wappnen), sondern auch und vor allem das Geliebte, hier aber sind wir macht- und wehrlos. Und wie viel schwerer als selbst zu leiden, ist es doch, das Geliebte leiden zu sehen (ja, ja, ich weiss: Brel. Kommt gleich). Dass aber das Leid eine Nebensache sein sollte, selbst das Leid unseres Geliebten, ist nicht wirklich zu ertragen.

liebesgedicht

gleichgültig bleibt dem meer
der fischer der darin ertrinkt
dessen frau und freunde
die unbestellten felder
wie der weizen der verdirbt
die fortan vaterlosen kinder
wie der schmerz der zurückbleibenden
ob der sterbende zu überleben sucht
sich seinem schicksal weich ergibt
oder stille tränen weint
seine dumpfe klage ebenso wie
stummes beten wuterfülltes schrei’n
ob der tod in scharfer mittagssonne
sich erhebt in neblichten morgenstunden
oder weichem abendlichte
gott liebt den sturm der stille
und das meer

Gibt es keinen Ausweg? Natürlich! Den Tod. Und die Liebe? Du hast doch gesagt, die Liebe vermag alles, sogar den Tod zu besiegen. Ist die Liebe ein Ausweg? Natürlich nicht! Liebe ist die siamesische Zwillings-Schwester des Schmerzes, sich einer zu verschliessen, heisst sich auch der anderen zu verschliessen (dazu ein anderes Mal). Wie konnte ich nur vergessen, was ich offenbar vor langer Zeit schon wusste.


Ach ja, der versprochene Hinweis: Jacques Brel, Voir un ami pleurer:

0 Comments

Trackbacks/Pingbacks

  1. Die Geschwister Liebe und Leid | rechtboese.ch - […] hatten eben über die Gleichgültigkeit des Meeres und das Nebenher des Leides gesprochen und dabei behauptet, […]

Submit a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Login

Lost your password?

Informiert werden über neue Posts?

Hinweis

Jeder kann kommentieren. Verlangt wird zwar die Angabe einer Mail-Adresse und eines Namens, doch können beide fiktiv sein. Über diese Angaben hinaus ist uns eine Identifikation nicht möglich.
Kommentare werden deshalb erst nach unserem OK freigeschaltet. Es erfolgt natürlich keinerlei inhaltliche Kontrolle.

Letzte Kommentare

Unsere letzte Umfrage

Gefällt Dir dieser Blog?

View Results

Loading ... Loading ...

Kontakt

Nicht-öffentliche Kommunikation ist über das nachstehende Formular möglich. Eine Identifikation des Absenders ist uns nicht möglich. Nicht-öffentliche Antwort kommt auf die Mail-Adresse, die Du eingibst.

    Name

    Mail-Adresse

    Betrifft

    Mitteilung