Horoskop und Gesetze

Skorpion

24.10. – 22.11.

Montag, 11. August 2014

Heute ist ein ereignisreicher Tag, der durchwegs positive Erlebnisse mit sich bringt. Besonders im Zusammenhang mit Menschen haben Sie nun eine glückliche Hand: Sie gehen offen auf Leute zu und machen auf diese Weise interessante Bekanntschaften. Genießen Sie das Leben und lassen Sie alles auf sich zukommen, was das Schicksal Ihnen heute beschert.

(Quelle: www.20min.ch)

Es ist mir kürzlich aufgefallen, dass Horoskope und Gesetze eigentlich schrecklich ähnlich sind.

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Gemeinsam haben sie, dass sie nicht nur etwas Bestimmtes sagen wollen, sondern gleichzeitig auch alles Andere.

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Paradox: eine Leerformel enthält viel mehr als man denkt. Dies ist natürlich nicht nichts.

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“Ein ereignisreicher Tag, der durchwegs positive Erlebnisse mit sich bringt”, das klingt ähnlich wie im positiven Recht: “[der Beauftragte] haftet dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes.”(Art. 398 Abs. 2 OR) oder “Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.” (Art. 31 Abs. 1 SVG).

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Je allgemeiner desto besser, denn jeder kann sich darunter seine eigene Situation vorstellen, der Jurist würde sagen “subsumieren”.

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“Rechtsfähig ist jedermann.” (Art. 11 Abs. 1 ZGB)

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Richtig (sei es vorhergesehen oder vorgeschrieben) ist jeweils das, was in die Formel passt. Was passt in die Formel? Genau das, was richtig ist (dumme Frage!).

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“[…] lassen Sie alles auf sich zukommen, was das Schicksal Ihnen heute beschert.” Wie wenn ich etwas anders machen könnte!

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Das Horoskop findet auf alle Lebensfragen Anwendung, für die es nach Phantasie oder Verrücktheit eine Aussage enthält.

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“Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat.” (Art. 63 Abs. 1 OR) Was aber könnte das Adjektiv “freiwillig” meinen, wenn es nicht voraussetzt, dass man bezahlen will, was seinerseits voraussetzt, dass man weiss, was man bezahlt. Gemäss Art. 63 I OR kann also, wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, sein Geld zurückfordern, sofern er beweisen kann, dass er sie unfreiwillig bezahlt hat.

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“Besonders im Zusammenhang mit Menschen haben Sie nun eine glückliche Hand: Sie gehen offen auf Leute zu und machen auf diese Weise interessante Bekanntschaften.” Wenn ich einem Menschen begegne, gebe ich ihm oft die Hand. So unwahrscheinlich und merkwürdig es auch sein mag, ist es mir doch schon passier, dass ich dabei eine interessante Bekanntschaft gemacht habe. Es ist genau das, was man die “glückliche Hand” benennt.

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“Der Einkommenssteuer unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte.” (Art. 16 Abs. 1 DGB) Was genau als Einkünfte zählen soll, weiss keiner so genau. Auch ob Einkünfte weder wiederkehrend noch einmalig sein können, bleibt natürlich offen. 

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Falsch ist eine Auslegung eigentlich nie, ausser wenn sie falsch ist, was ziemlich selten vorkommt.

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Die Kunst des Horoskop- wie des Gesetzgebers ist es, einen Text zu verfassen, den man praktisch beliebig verstehen kann, der aber gleichzeitig erlaubt, das eigene Verständnis als das einzigmögliche darzustellen.

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Jeder hat so viel Macht, wie er lesen kann.

Antworten, angemessen und unangemessen

Ist es nicht verstörend, dass es – wenn man genau hinschaut – gar keine Antworten im eigentlichen Sinn gibt. Ausser vielleicht auf die wenigen Fragen, die sich mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten lassen. Und auch hier nicht wirklich.

ES denkt …

Cogito ergo sum, hatte Descartes (1596-1650) formuliert. Das ist etwas ungenau, weil es sich auf die Frage des Denkens konzentriert und diejenige der Identität ausblendet. Schaut man genau hin, so müsste man eigentlich sagen: Es denkt etwas, also ist etwas. Die Identität desjenigen, das denkt, ist nämlich gar nicht klar.

Denken wird zwar häufig als eine Art Instrument konzipiert, zur Problemlösung oder Analyse oder anderen Zwecken, doch scheint mir das grundfalsch. Nichts könnte den Charakter des Denkens stärker verkennen als eine Konzeption, die das Denken auf Ziele und Zwecke hin orientiert. Denken nämlich ist in seiner Struktur dem Sex eng verwandt. Es gibt kein Ziel, keinen Zweck, keinen richtigen Weg, keine Anleitung. Beide verlangen von Dir Hingabe, Abenteuerlust und den Mut, Dich selbst nicht nur zu öffnen, sondern auch zu zeigen. Beide sind Wagnisse, denn Du weisst nicht, wo Du hinkommst. Und Du kannst nicht zurück. Beängstigend. Hinreissend.

Wer das Denken zulässt, hat auch überhaupt keine Kontrolle darüber. Nicht wann, wo, wie, wie lange oder wohin. Du kannst nur die Türe aufmachen oder schliessen. Wenn man sich in der Welt umschaut,  könnte man auf die Idee verfallen, dass wir diese Türe ganz vorsichtig auch nur einen kleinen Spalt weit öffnen können, um so das Risiko, unser Ausgesetzt-Sein zu beschränken. Aber das ist natürlich Humbug. Was da nach Denken aussieht, ist blosses Getue, reines Theater. Es hat mit Denken so wenig zu tun, wie Eisenbahnfahren mit Schwimmen. Wer in der Bahn fährt, bewegt sich entlang bestimmter, genau definierter Linien. Er hat eine Richtung und nur an gewissen Punkten überhaupt die Möglichkeit, sie zu ändern. Wer schwimmt, bestimmt (zumindest konkludent) jede einzelne Sekunde diese Richtung  neu, ist gänzlich ohne Halt und Vorgaben, und zudem jederzeit in Gefahr zu ertrinken.

Denken ist ein eigentlich vegetativer Vorgang. So wie unser Herz schlägt oder unser Magen verdaut, so denkt es ständig in uns. Meist bemerken wir es nicht einmal, nur manchmal nehmen wir es wahr. Unter Kontrolle aber haben wir es nicht. Denken ist wie Schwimmen im offenen Meer. Denken ist ein Orkan, ein Tsunami. Kein Wunder, versuchen die meisten Menschen, das zu vermeiden (oder ihm zu entkommen, wenn sie unglücklicherweise damit in Berührung kommen). Sie sind darin beeindruckend erfolgreich.

Nochmals Japan

Eben gehört: Halong ist Japans 11. Taifun in der diesjährigen Taifunsaison. Hast Du gewusst, dass es eine Taifunsaison gibt? Und: Hast Du schon Pläne für die nächste Taifunsaison?

Geheimnisvolles Japan

Soeben auf Trouw.nl die Meldung gefunden, dass die japanische Vagina-Künstlerin Nashiko von der Polizei verhaftet wurde, weil sie eine Datei mit den Daten ihrer eigenen Vagina, mit der sich in 3D-Druckern dreidimensionale Abbilder derselben aus Kunststoff herstellen lassen, auf ihre Website gestellt hatte. Damit kann man etwa dekorative Smartphone-Hüllen herstellen.

nashikoDiese unerfreuliche Nachricht eröffnet die Frage, ob dies auch nach schweizerischem Recht zu befürchten wäre. Nach Auffassung des Bundesgerichts setzt Pornographie indes voraus, dass Darstellungen objektiv darauf ausgerichtet sind, den Betrachter sexuell aufzureizen und dass in der Darstellung die Sexualität dergestalt aus ihren menschlichen und emotionalen Bezügen herausgetrennt wird, dass die jeweilige Person als blosses Sexualobjekt erscheint (BGE 131 IV 64, E. 10.1.1). Das Bundesgericht pflegt dies u.a. anhand der Bildgestaltung, der möglichen Einwirkung auf Darsteller und deren Gesichtsausdrücken zu beurteilen. Problematisch sind insbesonderer laszive oder leicht unterwürfige Gesichtsausdrücke.  Ein ernst dreinblickendes oder lachendes Kind mit entblösster Scheide, das sich seitlich am Liegestuhl festhält, darf man photographieren (BGE 133 IV 31, E. 6.2).

All dies deutet darauf hin, dass die Darstellung von Geschlechtsorganen ohne besonderen Kontext – insbesondere ohne Hinweise auf interpersonale Interaktion – nach schweizerischem Recht zulässig sein muss, da die Darstellung des Geschlechtsorgans ohne zugehörige Person nach objektiven Kriterien nicht als sexuell aufreizend zu qualifizieren ist. Dass in der Rechtsprechung auch darauf abgestellt wird, ob Geschlechtsorgane aufdringlich im Zentrum einer Darstellung stehen (manche tun das ja …) ändert daran nichts, ist doch auch hier die Existenz eines Kontexts vorausgesetzt, der bei einer Telephonhülle mit Vagina-Relief (oder auch einem Boot in Vagina-Form, wie es die Künstlerin ebenfalls gestaltet hatte) fehlt.

Bemerkenswert ist auch, dass in Kawasaki das Frühjahrsfest des stählernen Phallus gefeiert wird – offenbar bislang ohne Verhaftungen. Eine stossende Ungleichkeit. Free Nashiko!