Die Bildung der Studenten

Der Spiegel, nicht gerade bekannt als primäres Medium der bildungsfernen Bevölkerungsschichten, versucht in der Nummer 28/2014 Studenten zu einem Abonnement zu verführen, und zwar mit einem Angebot “Nur für Studenten”.

Spiegel-Studenten2Die (hier gelb eingefärbte) Präzisierung, die zum Werbegeschenk gegeben wird, liesse allerdings eher ein anderes Zielpublikum als Studenten vermuten. Die Sache klärt sich indirekt durch einen weiteren Hinweis, diesmal auf die Kultur der angesprochenen Studenten (ebenfalls gelb eingefärbt).

 

Unter uns Huren

Unter uns Huren

So soll nun also die Prostitution verboten werden. Prostitution überhaupt, wohlgemerkt, nicht etwa bestimmte ihrer Formen, wie beispielsweise die Prostitution von Kindern. Das nämlich ist bereits Gesetz: War Sex mit einem Menschen jünger als 16 bisher bereits strafbar (Art. 187 StGB), so ist mit der Umsetzung des Lanzarote-Protokolls nun auch Sex strafbar geworden mit Minderjährigen, die älter sind als 16, jedenfalls dann, wenn sie einen Vorteil davon haben (der über den Sex hinausgeht). Sexuelle Hingabe ohne Gegengeschenk, also der acte pur der blossen Lust, bleibt erlaubt. Unsicher allerdings ist, ob damit ausser der Masturbation überhaupt noch eine sexuelle Handlung straffrei bleibt, denn soweit auch ein anderer beteiligt ist, besteht ja immer auch Gegenseitigkeit und Austausch. Nicht um Kinder aber geht es nachfolgend. Nicht der Zwang zum Sex soll strafbar werden. Nicht Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Schändung oder irgendeine andere Form des erzwungenen Sex. Skandal! wollen wir rufen, als uns klar wird, dass all dies längst strafbar ist. Ebenso das Zuführen eines Menschen zur Prostitution, das Kontrollieren oder Festhalten darin. Denn sie sind als Menschenhandel natürlich strafbar. Nein, nein, strafbar werden soll die “schlichte” Prostitution, oder genauer gesagt: die Inanspruchnahme einer sexuellen Dienstleistung, wenn dafür gezahlt (oder am Lanzarote-Protokoll orientiert: eine Gegenleistung oder irgendein Vorteil gewährt wird).

Man muss sich vielleicht einmal vor Augen führen, wie die Forderung nach einem Prostitutionsverbot begründet wird: Sex im Austausch für eine Gegenleistung zu erwarten oder zu verlangen (Nachfragerseite), verletze die Menschenwürde, weil umgekehrt Sex im Austausch für eine Gegenleistung anzubieten oder hinzugeben (Anbieterseite) unmöglich die Entscheidung eines selbständigen, frei entscheidenden Menschen sein könne. Der Appell gegen Prostitution versteht Prostitution als Herrschaft und Zwang des Nachfragers über den Anbieter und nennt Prostitution, bei der kein Zwang ausgeübt wird, “sogenannt freiwillige” Prostitution. Das ist durch und durch paternalistisch und freiheitsfeindlich. Isaiah Berlin (1909-1997) und seiner Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit folgend, ist deutlich, dass die Prostitutionsregulatoren Freiheit nicht negativ (frei von etwas), sondern positiv (frei zu etwas) konzipieren, die Freiheit also auf ein Ziel hin orientieren, dieses Ziel aber der Entscheidkompetenz des scheinbar Freien gerade entziehen: Du bist frei, zu tun, was Du willst …, sofern Du das Richtige willst; strebst Du indes nach dem Falschen, so kann Dein Begehren nicht Dein wirklicher Wille sein, glaubst Du nur, es zu wollen, dieweil Du eigentlich krank bist oder noch nicht reif, oder einer Täuschung oder eben einem Zwang unterliegst, den Du eben gar nicht wahrnimmst. Und natürlich ist es nicht an Dir zu entscheiden, was richtig und was falsch ist.

Das kennen wir aus dem einst real-existierenden Sozialismus, aber auch aus anderen freiheitsfeindlichen Gedankensystemen. Jedem, der sich dafür interessiert, oder grundsätzlicher: jedem, der sich für die Bedingungen menschlicher Knechtschaft interessiert, sei deshalb Berlins “Freedom and its Betrayal: Six Enemies of Human Liberty” ans Herz gelegt, das die Propheten der Unfreiheit (Helvétius [1715-1771], Rousseau [1712-1778], Fichte [1762-1814], Hegel [1770-1831], Saint-Simon [1760-1825] und de Maistre [1753-1821]) luzide analysiert, was umso dringlicher ist, als es offensichtlich fürchterliche Zeiten sind, in denen wir leben, auch wenn das kaum einen zu interessieren scheint, weil es so vielen materiell so gut geht, weshalb das erhebliche Unbehagen, das einfach nicht verschwinden will, als grundlos und ungerechtfertigt empfunden wird, zumindest aber als unerklärlich und merkwürdig, während sich die insistenten Zweifel weitgehend betäuben lassen (oder jedenfalls betäubt werden) durch den nicht abbrechenden Strom von Unterhaltung durch Bilder, Filme und gänzlich belanglose Informationen, die wir nicht nachgefragt haben und eigentlich auch nicht benötigen, deren Erneuerungs- und Veränderungstempo uns aber stetig und zunehmend in Verzug setzt (eine Art Gläubigerverzug des Nachrichtenempfängers und Medienkonsumenten) und überfordert, was uns, wenn nicht gerade minderwertig, so doch ungenügend und mangelhaft fühlen macht, weil wir weder dieses Tempo aushalten noch diese Quantitäten verarbeiten können, sodass wir nur zu gerne Rat und Leitung anderer annehmen, von denen wir glauben, sie seien weniger überfordert und hilflos als wir, was umgekehrt die wiederum gerne tun, wenn auch weniger aufgrund von Kompetenz und Verantwortung als schlicht aus Geltungssucht und Rücksichtslosigkeit, so dass die freche Anmassung, anderen vorschreiben zu wollen, was sie zu tun haben, gegenwärtig nicht nur Hochkonjunktur hat, sondern sich widerlicherweise auch noch verleugnet und (zumindest den Orientierungslosen gegenüber weitgehend erfolgreich) als “Fürsorge” tarnt und verkleidet, deren Zweck natürlich nur das Wohl der Geleiteten und Beschützten ist, die sich von den Herrschenden nur dadurch unterscheiden, dass sie anders als diese bequemer sind und keine Verantwortung übernehmen, sondern lieber Regeln befolgen wollen, ihnen sonst aber ganz und gar gleich sind, was das vornehme Opfer, das die Herrschenden grosszügig erbringen, nur umso eindrücklicher erscheinen lässt, und die Dankbarkeit, die ihnen geschuldet ist, nur umso grösser.

Aus den Höhen der Unfreiheitsphilosophie zurückkehrend in die Niederungen der Sexualitätsregulatoren fällt auf, dass beim Austausch von Sex und Gegenleistungen offenbar grundsätzlich (aber diskussions- und begründungslos) der Nachfrager von sexuellen Dienstleistungen als der Mächtige und Herrschende verstanden wird, während der Dienstleistungsanbieter oder -erbringer als der Schwache, Ohnmächtige und Beherrschte verstanden wird. Das ist zumindest insofern merkwürdig, als die Herrschaft über die Ressource Sex primär beim Anbieter liegt. Dass er, obwohl an sich Herr über diese Ressource, Knecht sein soll und dem Nachfrager unterworfen, bedürfte doch eingehender Begründung. Die Annahme nämlich, dass jeder, der sich verhält, wie wir es nicht tun würden, dies nur aus Zwang tun kann, ist möglicherweise allzu simpel und falsch, wie wir schon seit Etienne de la Boétie (1530-1563) und seinem “Discours de la servitude volontaire” wissen, uns aber 400 Jahre später Hans Magnus Enzensbergers (*1929) Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer (1962) in Erinnerung ruft, von dem hier nur der Schluss wiedergegeben sei:

gelobt sei´n die räuber; ihr,
einladend zur vergewaltigung,
werft euch aufs faule bett
des gehorsams, winselnd noch
lügt ihr, zerrissen
wollt ihr werden, ihr
ändert die welt nicht mehr.

Dass ein Prostitutionsverbot die Freiheit nicht nur der Nachfrager (der Konsumenten) einzuschränken sucht, sondern auch diejenige der Anbieter, ist mithin ebenso offensichtlich, wie unzweifelhaft ist, dass die Apologeten des Verbotes dies nicht zugeben werden. Lassen wir also den philosophischen Diskurs um die Freiheit beiseite und schauen uns den “Appell gegen Prostitution” etwas genauer an: Der Sturmlauf auf die Prostitution wird als Emanzipationanliegen verkauft und von Alice Schwarzer in der Emma lanciert.

Prostitution ist Ausbeutung und zugleich Fortschreibung der traditionell gewachsenen Ungleichheit zwischen Männern und Frauen.

Prostitution ist also asymetrisch: Frauen bieten die Dienstleistung an, Männer beziehen sie. Nicht von Menschenhandel ist die Rede, sondern von Frauenhandel, davon dass Frauen zum käuflichen Geschlecht würden, dass Prostitution die Gleichheit der Geschlechter überschatte. Die Forderungen gehen von “Hilfen zum Ausstieg für Frauen in der Prostitution” über “Schutz von Zeuginnen” bis zur “Aufklärung über Frauenkauf”. Im gesamten Appell tauchen die Männer fast ausschliesslich als Unterdrücker auf, als Käufer und Freier. All dies gipfelt in der Forderung:

“Bestrafung der Freier; also der Frauenkäufer“.

So so, Frauenkauf strafbar, Männerkauf nicht? Interessante Idee. Und wenn es Frauen sind, die für Sex mit Frauen zahlen? Meint “Frauenkäufer” auch die Frauenkäuferinnen? Und bliebe umgekehrt der “Männerkauf” immer straffrei, selbst begangen durch Frauen?

Nur fast ausschliesslich habe ich gesagt, weil auch Männer als Anbieter erscheinen, wenn auch nur ein einziges Mal: “Minderheit männlicher Prostituierter”. Ihre Existenz (und damit auch ihre Erwähnung) allerdings passt überhaupt nicht zum Rest, denn durch sie wird ja eine Beschränkung auf “Frauenhandel” und “Frauenkauf” sinnlos und widerspricht zudem der These von der Prostitution als Geschlechterungleichheit. Dass sie überhaupt erwähnt werden, ist wohl der politischen Korrektheit geschuldet, Quotenmänner also. Männer, die für Sex eine Gegenleistung erwarten oder fordern (denn die gibt es tatsächlich, und nicht nur in dem doch eher emanzipationsfernen, weil nicht auf Gegengeschlechtlichkeit bezogenen Bereich der Homosexualität), sind offenbar nicht emanzipationsbedürftig. Denn Männer, so sie sich für Geld hingeben, tun dies natürlich freiwillig. Jedenfalls freiwilliger als Frauen. Männer scheinen also – qua Männer – schon emanzipiert und daher – anders als ihre weiblichen Gegenstücke – für ihre Entscheidungen nicht nur selbst verantwortlich, sondern – anders als jene – zu freien Entscheidungen durchaus fähig.

Wenn wir unsere Kraft, unsere Zeit, Arbeit oder Phantasie gegen Geld eintauschen, tun wir es offenbar freiwillig. Um Geld zu verdienen, die Welt zu beherrschen, bewundert, begehrt oder beneidet zu werden. Selber schuld. Anderes scheint für die Prostitutionsgegner zu gelten, wenn wir unsere Körper nicht zum Bauen, Bedienen oder Kämpfen nutzen, sondern für sexuelle Dienstleistungen. Aber selbst diese Ausnahme gilt nur für Frauen, denn natürlich wollen Männer eigentlich immer Sex. Sogar wenn sie dafür bezahlt werden. Sogar, wenn sie ihn nicht wollen, wollen sie ihn eigentlich. Frauen aber erleiden ihn. Denn sogar, wenn sie ihn wollen, wollen sie ihn eigentlich nicht wirklich.

Willkommen zurück in den 50er Jahren! Nur – wozu dann das Emanzipationsgerede?