Zeit und Weh

“Die Zeit hat uns gar nichts anzugehen”, konterte er, und auch er spielte Bitterkeit. “Es bringt nichts, über sie nachzudenken. Sie bewegt sich deswegen nicht langsamer. Wenn Beweglichkeit überhaupt eine ihrer Eigenschaften ist. Alles, was zurückliegt, geschieht jetzt. Im Augenblick. Licht von einem fernen Stern. Was mir vor fünfunddreissig Jahren sehr wehgetan hat, warum sollte mir das heute nicht mehr wehtun?”

Michael Köhlmeier, Von alten Fotografien,
Erzählung aus:  Roman von Montag bis Freitag,  38 Stories, Wien 2004.

Verträge

Ein Vertrag ist die Antizipation eines Scheiterns. Ich vertraue meinem Partner nicht für alle Zeit. Und: Ich vertraue mir selbst nicht für alle Zeit.

[…]

Der, der ich jetzt bin, erhebt sich über den, der ich vielleicht eines Tages sein werde, und erinnert ihn daran, was er einst für richtig erachtet hat. Wobei es ja durchaus sein könnte, dass der, der ich sein werde, klüger ist als der, der ich bin. So gesehen ist ein Vertrag ein Ding wider die Vernunft.

Michael Köhlmeier, Über Verträge,
Erzählung aus:  Roman von Montag bis Freitag,  38 Stories, Wien 2004.