by Lektürlich | Aug 1, 2013
Das Problem mit der Autonomie ist, dass sie im Leben schwierig zu erreichen (und noch schwieriger zu bewahren) ist, und man einen hohen Preis dafür zu zahlen hat, wie für alles Wertvolle, während sie sich im Tod fast schon selbstverständlich ergibt, man sie quasi geschenkt bekommt.
“Presque tous les hommes sont esclaves, par la raison que les Spartiates donnaient de la servitude des Perses, faute de savoir prononcer la syllabe non. Savoir prononcer ce mot et savoir vivre seul sont les deux seuls moyens de conserver sa liberté et son caractère.”
Mais non sa vie. Chamfort, l’auteur de cette pensée, dit non à Herault de Séchelles qui veut le faire écrire contre la liberté de la presse. Il est arrêté et se tue.
H. de Montherlant, Carnet XX (1931)
Von Aussen betrachtet ist der Tod eine erzdemokratische, egalitäre Angelegenheit (vgl. etwa Gevatter Tod bei den Gebrüdern Grimm [1857], oder Gleichmacher Tod bei Liezi oder Liä Dsi [ca. 450 v.Chr.]); von Innen aber ist er neben dem Schmerz das Individuellste, das überhaupt vorstellbar ist. Wird er nicht empfangen, sondern selbst gegeben, ist er letzte und reinste Verwirklichung von Autonomie, reinstes Nein als Verweigerung der Sklaverei.
Entsprechend verlockend und attraktiv ist er.
Der Text Chamforts (1741-1794) findet sich zusammen mit seinen anderen Maximes et Pensées hier.
by Lektürlich | Jul 31, 2013
En tous pays, la loi s’hypnotise sur des délits infimes, ou qui même n’en sont pas, et déshonore un homme pour des actes que tout individu intelligent juge moralement et socialement sans importance. Mais la bassesse de l’âme, la médiocrité, la lâcheté, l’absence de patriotisme, ou plutôt l’antipatriotisme “passent au travers”, et désagrègent peu à peu une nation à laquelle des millions de faux délits ne portaient pas le moindre préjudice.
Montherlant, Carnet XX (1931)
by Filifjonka | Jul 30, 2013
Warum sollte es für das Verständnis eines Textes bedeutsamer sein, was derjenige sagen wollte, der ihn verfasst hat, als beispielsweise für das Verständnis eines Tisches dasjenige, was sich der Tischler dabei dachte? Würden wir nicht dem Tischler, der einen Stuhl fertigte, auf seinen Protest hin, wenn wir diesen Stuhl als Tisch nutzten, bedenkenlos antworten, dass sein Verständnis des Gegenstandes für uns nicht massgeblich sei? Ist es nicht merkwürdig, dass dies bei Texten anders sein sollte?
Tatsächlich ist die Genese eines Gegenstandes für uns typischerweise nur dann bedeutsam, wenn wir ein spezifisch historisches Erkenntnisinteresse haben, dieweil Herkunft und Genese sonst praktisch bedeutungslos bleiben. Nicht dass Herkunft gleichgültig wäre, ganz im Gegenteil, aber die Frage nach dem Woher beantwortet eben nicht die Frage nach dem Was oder Wozu. Vergangenheit gibt keine Antwort auf die Gegenwart und ihre Fragen. Zu verstehen, woher eine bestimmte psychische Störung stammt, behebt sie nicht. Und wer sich selbst primär über seine Herkunft (seine Eltern beispielsweise oder seine Sippe) definiert, ist entweder noch unreif oder schlicht bedeutungslos.
Dasselbe gilt prinzipiell auch für sprachliche Äusserungen: Zum einen lässt sich gar nicht feststellen, was derjenige sagen wollte, der eine Äusserung getan hat, denn er hat ja gesagt, was er gesagt hat, und eben gerade nichts anderes. Die typische Lehrerfrage also: “Was wollte uns der Dichter damit sagen?”, lässt sich immer dahingehend beantworten, dass er das sagen wollte, was er gesagt hat. Hätte er nämlich etwas anderes sagen wollen, hätte er es ja getan. Die Frage wäre dann einzig, warum er uns nichts anderes gesagt hat. Darauf aber gibt es keine Antwort. Zum anderen aber würde, selbst wenn es ihm gelänge, uns zu sagen, was er eigentlich sagen wollte, nur ein weiterer Text geschaffen, der seinerseits selbständig vor seinem Schöpfer stünde. Zum dritten aber müsste, was immer er wollte, uns eben ganz gleichgültig bleiben, aufgrund der Differenz von Gesagtem und Gewolltem, weil das Gewollte, soweit und sofern es nicht im Gesagten enthalten ist, eben für uns gar nicht erreichbar wäre. Soweit es aber darin enthalten und für uns erreichbar wäre, es eben damit bereits in uns wäre, also gar nicht erst erkannt oder begriffen werden müsste. Es ist also bereits unseres und nicht mehr dasjenige, was der Autor wollte oder der “Schöpfer”. Das bleibt also ganz irrelevant, ausser natürlich für den Autor selbst.
by Lektürlich | Jul 30, 2013
… zur hier thematisierten Problematik der Regel auch Montherlant (Carnet XX):
La principale difficulté, après avoir découvert et adopté une nouvelle règle de vie, est de découvrir quand il faut la transgresser.
Ist es nicht merkwürdig, wie beruhigt wir sind, wenn unsere Positionen, von Anderen (und noch dazu Berühmten) geteilt werden? Als ob das etwas an ihrer Richtigkeit zu ändern vermöchte.
by Lektürlich | Jul 30, 2013
Filifjonka hat hier von der Bedeutung des Vergessens gesprochen. Was für eine Freude, dafür bei meinem Liebling Montherlant (Carnet XX) )einen Beleg zu finden:
Je dirai encore que l’oubli est une vertu, ou un défaut, noble. Oubli, c’est désintéressement et largesse. Le contraire de la lourdeur. Oublier les injures. “Il faut se dire que les hommes sont ainsi, et passer”. Oublier les choses les plus importantes pour soi, à quoi s’accrocheraient tous les autres. Oublier ce qu’on a fait de bien.
(Oublier les services qu’on vous a rendus est comporté dans ce noble flot du Léthé).
Ziemlich ähnlich hatte das Nietzsche formuliert (Vergessen als Fähigkeit, als Leistung).
by Filifjonka | Jul 28, 2013
Ganz richtig, Epipur. Dazu gibt es eine hübsche Parabel von Franz Kafka
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Leoparden brechen in den Tempel ein und saufen die Opferkrüge leer; das wiederholt sich immer wieder; schließlich kann man es vorausberechnen und es wird ein Teil der Ceremonie.
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