Floriot, Kontext und Alkohol: Ein Beispiel

Wir hatten bemerkt, dass Floriot viele Beispiele für die Bedeutung des Kontextes einer Aussage bringe. Eines sei nachfolgend wiedergegeben (René Floriot, Für den Angeklagten, Hamburg 1960, 98 f., orig. Au banc de la défense, Paris 1959):

Vor über zwanzig Jahren verteidigte ich einen Kaufmann, der sich in einem Restaurant mit einem anderen Gast gestritten und ihm dabei einen wuchtigen Faustschlag versetzt hatte. Der Mann war hintenübergekippt, hatte sich beim Fall einen Schädelbruch zugezogen und war einige Stunden darauf gestorben. Er hinterliess eine Witwe mit vier minderjährigen Kindern. Die Geschworenen waren erschüttert über die Folgen des unglücklichen Schlages und schienen zu harter Strafe entschlossen.

Dr. Paul nahm die Obduktion der Leiche vor. In seinem Gutachten führte er aus, dass sich bei der Untersuchung der Leber ein chronischer Alkoholismus herausgestellt habe. Im Gerichtssaal vergisst er dieses Detail. Natürlich frage ich danach:

“Herr Doktor, Sie haben die Leber des Opfers untersucht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?”

“Es handelt sich unverkennbar um die Leber eines Alkoholikers.”

Die Haltung der Geschworenen änderte sich sofort. Sie sahen in dem Opfer einen jener ruaflustigen Trunkenbolde, die nach dem Genuss von Alkohol um so eher Streit suchen, als ihre Körpermasse jedem Achtung einflössen. Der Gerichtsmediziner hatte festgestellt, dass das Opfer ein Meter fünfundachtzig gross war.

Ich brauchte also den Zeugen nur reden zu lassen, und der Freispruch war sicher. Doch triebt es mich leider, meinen Vorteil noch weiter auszunutzen.

“Herr Doktor, Sie hatten das Wort ‘Alkoholiker’ noch näher bestimmt, ich hätte gern, dass Sie es vor den Herren Geschworenen wiederholten.”

Und Dr. Paul ergänzt sogleich:

“Ich habe in der Tat angegeben, dass es sich um einen chronischen Alkoholiker handelt.”

Besser konnte es gar nicht gehen. Aber der Gerichtsmediziner merkte, dass die Geschworenen über diesen letzten Hinweis sehr betroffen waren, und stellt lächelnd klar:

“Freilich möchte ich den Herren Geschworenen dazu sagen, dass man als chronischen Alkoholiker einen Menschen bezeichnet, das ein oder zwei Aperitifs vor dem Essen und danach einen Verdauungsschnaps trinkt.”

Die Geschworenen sahen sich erneut an. Diese einfache Bemerkung hatte ihre Meinung gründlich gewandelt. Vielleicht hielten es einige von ihnen mit der vom Zeugen beschriebenen Lebensweise. Zumindest aber hatten sie Freunde, die auf diese Weise ihrer Gesundheit lebten, ohne deshalb gleich eine Gefahr für ihre Mitmenschen darzustellen. Der Bann war gebrochen, und es wehte wieder ein sehr viel strengerer Wind.

Floriot zu Kontext und Kommunikation

Interessant und mit der Transzendenz des Rechts direkt in Zusammenhang stehen  verschiedene Bemerkungen zur Bedeutung des Kontextes von Äusserungen (im Strafverfahren; alle Zitate aus René Floriot, Für den Angeklagten, Hamburg 1960, orig. Au banc de la défense, Paris 1959):

Derselbe Witz, der in einer raffinierten Betrugsaffäre beifälliges Gelächter erregt, wird eisigem Schweigen begegnen, wenn es sich um ein Kapitalverbrechen handelt, dessen Opfer drei kleine Waisen hinterlässt. (36)

Vorweg eine Bemerkung zum Prozess (zwar zum Geschworenenprozess, aber die Bemerkung kann auch Gültigkeit für andere Prozesse beanspruchen):

Nicht zu unrecht sagt man, dass es vor dem Schwurgericht keine absolut sicheren oder aussichtslosen Fälle gibt. (62)

Und zum Ablauf:

Könnte man einen Prozess mehrere Male wiederholen, mit denselben Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern, aber jedesmal mit anderen Geschworenen, so würden die Urteile sehr verschieden ausfallen. (64)

Nicht die Geschworenen allein aber sind bedeutsam, auch der Vorsitzende:

Wenn man denselben Prozess mit denselben Personen, aber mit anderen Vorsitzenden mehrere Male wiederholte, würden die Ergebnisse sehr verschieden ausfallen, selbst wenn der Richter jedesmal für dasselbe Urteil stimmte. (74)

Man bemerke den Nachsatz: Selbst wenn der Inhalt des Richterspruchs derselbe wäre, bliebe die Persönlichkeit des Richters bedeutsam. Und Floriot bringt dafür einen Berg von Beispielen.

Denken, Meinungen und das Recht

Im selben Text von Schopenhauer (Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten, Frankfurt 2005, 58) heisst es weiter:

Denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen Alle haben: Was bleibt das anderes übrig als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Andern aufnehmen?

Und dann etwas weiter (59 f.):

Ueberhaupt wird man nun finden, dass wenn zwei gewöhnliche Köpfe mit einander streiten, meistens die gemeinsam von ihnen erwählte Waffe Autoritäten sind: damit schlagen sie aufeinander los. – Hat der bessere Kopf mit einem solchen zu thun, so ist das Räthlichste, dass er sich auch zu dieser Waffe bequeme, sie auslesend nach Maasgabe der Blössen seines Gegners. Denn gegen die Waffe der Gründe ist dieser ex hypothesi, ein gehörnter Siegfried, eingetaucht in die Flut der Unfähigkeit zu denken und zu urtheilen.

Ach ja, das kommt dem Juristen doch bekannt vor. Sind Rechtswissenschaft und Theologie nicht essentiell verwandte Wissenschaften (soweit sie denn Wissenschaften sind), lösen beide doch Divergenzen unter Rekurs auf Autorität. Aber Schopenhauer ist natürlich zu intelligent, um das nicht zu erkennen:

Vor Gericht wird eigentlich nur mit Autoritäten gestritten, die Autorität der Gesetze die fest steht: das Geschäft der Urteilskraft ist das Auffinden des Gesetzes d.h. der Autorität die im gegebenen Fall Anwendung findet. Die Dialektik hat aber Spielraum genug, indem, erforderlichen Falls, der Fall und ein Gesetz, die nicht eigentlich zu einander passen, gedreht werden, bis man sie für zu einander passend ansieht: auch umgekehrt.

Ist das nicht, was Epipur sagt?

Intelligenz und Schwarm

Schopenhauer scheint also nicht viel von “Schwarmintelligenz” zu halten. Wahrscheinlich, weil es ihm um das Richtige oder Wahre geht, während es doch im Leben reicht, durchzukommen, und das geht meist auch mit dem ungefähr Richtigen und dem fast Wahren. Evolution ist einfach nicht so anspruchsvoll. Und Intelligenz (auch ohne Schwarm) biologisch nicht so bedeutsam, wie deren Träger glauben, sonst wäre sie wohl sehr viel weiter verbreitet.

Nothing is so brilliantly adaptive as selective stupidity.

bemerkt Amélie Oksenberg Rorty treffend (Mind in Action. Essays in the Philosophy of Mind. Boston 1988, 219).

Transcendance légale?

L’affaire Cahuzac n’a de cesse de fournir à la presse de quoi noircir les pages de ses quotidiens. Dernier épisode en date, l’arrestation de Pierre Condamin-Gerbier à son retour en Suisse après avoir témoigné devant une commission parlementaire française et deux juges français.

L’on pouvait lire dans Le Temps d’hier les propos suivants, recueillis auprès du Ministère Public de la Confédération:

L’incarcération de Pierre Condamin-Gerbier a suscité de vives protestations parmi les parlementaires qui venaient de l’entendre. La nouvelle de son arrestation n’est évidemment pas faite pour améliorer la perception française de l’attitude de la Suisse à l’égard de l’évasion fiscale. Pour autant, Michael Lauber ne voit aucune raison de ne pas poursuivre les faits qui sont parvenus à la connaissance de la justice, «même si cela n’est politiquement pas très confortable». «Peut-être que ce n’est pas tellement bon pour notre réputation à l’étranger, mais nous faisons ce que notre loi nous ordonne de faire. Ce qui est punissable en Suisse est clair.»

Comment ne pas être frappé par une telle conception transcendantale de la loi. La loi a-t-elle réellement un contenu déterminé qui nous contraindrait même lorsque nous sommes persuadés que celle-ci est injuste dans un cas précis?

La loi (en l’occurrence l’art. 47 LB et l’art. 273 CP) contient des dispositions générales et abstraites. Son sens ne lui est pas intrinsèque mais extrinsèque et lui est donné lors de son application. Qu’est-ce qu’un secret? A qui appartient le secret? Qu’est-ce qu’un secret d’affaires? En quoi consiste l’action de le rendre accessible?

Chaque cas concret est unique, et il s’agit de voir si un cas bien particulier se prête à l’application de la règle abstraite ou s’il en constitue une exception.  C’est ainsi au moment de son application, de sa concrétisation, qu’un texte légal prend son sens. L’intuition et la réflexion du juge, pivot principal, le mèneront à justifier une application de la disposition (s’il trouve cela juste) ou au contraire sa non-application (s’il trouve cela juste). En cas de non-application de la règle, le juge pourra même parler d’exception à la règle générale et abstraite pour symboliser la validité de celle-ci, bien qu’elle ne s’applique pas dans le cas concret.

Pour en revenir à l’article du Temps, l’invocation d’une loi au contenu clair et contraignant dans un cas d’espèce n’est rien d’autre qu’une manière de cacher ses propres opinions et volontés, de ne pas endosser la responsabilité de ses propos. Pour être sincère, il eût fallut que le Ministère Public dise que les actes de Pierre Condamin-Gerbier correspondent à du service de renseignements économiques (soit d’expliquer brièvement quel est le secret en question et comment il a été rendu accessible à un Etat étranger), ce qui revient à dire que ces actes méritent, aux yeux du Ministère Public, d’être sanctionnés.

Tugend und Gefühl

Spricht die Encyclopédie:

VERTU, (Ord. encyclop. Mor. Polit.) il est plus sûr de connoître la vertu par sentiment, que de s’égarer en raisonnemens sur sa nature ; s’il existoit un infortuné sur la terre, qu’elle n’eût jamais attendri, qui n’eût point éprouvé le doux plaisir de bien faire, tous nos discours à cet égard seroient aussi absurdes & inutiles, que si l’on détailloit à un aveugle les beautés d’un tableau, ou les charmes d’une perspective. Le sentiment ne se connoit que par le sentiment ; voulez vous savoir ce que c’est que l’humanité ? fermez vos livres & voyez les malheureux : lecteur, qui que tu sois, si tu as jamais goûté les attraits de la vertu, rentre un instant dans toi même, sa définition est dans ton coeur.

Und das von der scheinbar so vernunftbesessenen Aufklärung! Offenbar wusste man damals noch, dass der Kopf nicht wirklich zuverlässig ist. Hingewiesen sei nur nebenher auf Adam Smith und seine Theory of Moral Sentiments.