by Filifjonka | Nov 16, 2013
Giovanni Boccaccio, Decamerone, 1. Tag, 10. Geschichte (dt. Übersetzung von Heinrich Conrad, Berlin ca. 1925):
Heutzutage freilich ist zu unserer und aller jetzt Lebender allgemeiner Schande kaum ein einziges Frauenzimmer zu finden, das feinen Witz verstünde oder, wenn es ihn doch versteht, darauf zu antworten wüsste. Denn den Scharfsinn, den in der Vorzeit der Frauen Geist offenbarte, haben die neueren auf den Putz ihres Körpers verwandt, und diejenige, welche sich mit den buntesten, mit Streifen und Zierraten am meisten überladenen Kleidern behängt sieht, meint, sie müsse den übrigen um vieles vorgezogen werden und sei höherer Ehren wert. Doch sie bedenkt nicht, dass, wenn jemand die Mühen des Aufladend übernehmen wollte, ein Esel hundertmal mehr solchen Putz tragen könnte als sie und dennoch nicht mehr Ehre verdienen würde, als einem Esel gebührt.
Oder im Original:
come che oggi poche o niuna donna rimasa ci sia, la quale o ne ‘ntenda alcuno leggiadro o a quello, se pur lo ‘ntendesse, sappia rispondere: general vergogna e di noi e di tutte quelle che vivono. Per ciò che quella virtù che già fu nell’anime delle passate hanno le moderne rivolta in ornamenti del corpo; e colei la quale si vede indosso li panni più screziati e più vergati e con più fregi, si crede dovere essere da molto più tenuta e più che l’altre onorata, non pensando che, se fosse chi addosso o in dosso gliele ponesse, uno asino ne porterebbe troppo più che alcuna di loro; né per ciò più da onorar sarebbe che uno asino.
Die Klage ist nicht nur immer dieselbe, sie ist (wenn auch vielfach gut begründet) dennoch immer ganz sinnlos: Schliesslich gefallen sie uns ja, (wenn nicht weil, so doch sicherlich auch), wenn sie sich herausputzen.
by Filifjonka | Nov 16, 2013
Frank Fournier schoss das Foto der 13jährigen Omayra Sanchez, das um die Welt ging, im Jahr 1985. Mehr zur Geschichte des Fotos hier.

Das Mädchen ist am Sterben, rettungslos verloren. Und wir – wie auch der Photograph – dazu verdammt, das hinzunehmen, es mitzuerleiden. Hier geschieht also genau dasselbe wie jeden Tag, immer wieder. Genau so wie wir das Leiden selbst erleben und auch bei anderen kennen und erkennen. Anders ist hier nur, dass der Tod absehbar ist, greifbar, nahe, unerträglich nahe. Merkwürdig, nicht, wie alleine die Verkürzung der Dauer des Prozesses die Sache selbst fundamental verändert. Was an sich schon problematisch ist, die Theodizee, wird in der Verkürzung zu einem Skandalon. Wie kann irgendein Gott so etwas zulassen?
Uns bliebe einzig wegzusehen. Aber gerade das ändert nichts am Ablauf, nichts an unserem Wissen und unserer Verbundenheit mit Omayra, nichts am Skandal unserer Existenz, wenn Kinder so sterben müssen, nichts an unserer Verantwortung, und nichts an unserer Schuld. Denn auch dies bleibt ein Geheimnis: Dass wir zweifellos schuldig werden, obwohl wir nichts tun können. Vielleicht gar, weil wir nichts tun können. Alleine das Wissen um eine leidende Kreatur lässt uns Teil werden ihres Leidens. Dies denn dürfte wohl auch ein Grund sein, dass Diktaturen Folterungen und Hinrichtungen nicht selten öffentlich zelebrieren (besonders eindrücklich etwa bei Otto Dov Kulka, Landschaften der Metropole des Terrors, München 2013, 67 ff., aber auch in der von ihm zitierten Strafkolonie Franz Kafkas).
Und diese Schuld beschränkt sich nicht auf Menschen. Kürzlich etwa habe ich, nachts über Land fahrend, beinahe einen Fuchs überrollt, der offenbar kurz zuvor überfahren worden war, so dass seine Bauchhöhle geplatzt war und seine Eingeweide auf der Strasse vor ihm (und vor mir) lagen. Ich spürte seinen Schmerz auf meiner Haut. Und während ich diese keineswegs eingebildete, sondern tatsächliche, körperliche Empfindung auf der Haut und in meinem Bauch spürte, fragte ich mich, ob das krank oder ungesund, ob ich hypersensibel oder neurotisch sei. Doch wäre das wohl zu einfach, auch wenn ich natürlich zugebe, dass Kranken häufig scheint, sie seien gesund.
by Filifjonka | Nov 13, 2013
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Eklektik oder System?
by Filifjonka | Nov 11, 2013
Es liegt klar zutage, dass die weltlichen Dinge, sowie sie insgesamt vergänglich und sterblich, auch nach innen und aussen reich an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren unterliegen, denen wir, die wir mitten unter ihnen leben und selber ein Teil von ihnen sind, weder widerstehen noch wehren könnten, wenn Gott uns nicht durch seine besondere Gnade die nötige Kraft und Fürsorge liehe.
Boccaccio: Decamerone, 1. Tag 1. Geschichte, übersetzt von Heinrich Conrad, Berlin o.J. [1923]
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