Floriot und die Verteidigung

Hinzuweisen ist auf ein ausserordentlich hübsches Buch von René Floriot (1902-1975, einem der einst profiliertesten französischen Strafverteidiger), nämlich: “Für den Angeklagten”, Hamburg 1960 (orig. Au banc de la défense, Paris 1959), ein durch und durch nicht nur informativer, sondern auch sehr unterhaltsamer Bericht zur Strafverteidigung, Rhetorik und dem Strafrecht, das vor treffenden Bemerkungen nur so wimmelt:

Ganz allgemein hat der Rechtsanwalt mit zwei Gefahren zu kämpfen: dass seine Hörer gar nicht merken, worum es geht, und dass die Aufmerksamkeit erlahmt. (46)

Oder aber zur Argumentation:

Man könnte meinen, es schade nichts, ein zweifelhaftes Argument im Plädoyer zu verwenden, es sei denn, der Richter wiese es zurück. Aber das stimmt nicht. Jede Beweisführung ist ein Ganzes: Wenn die Hörer auch nur einen Augenblick das Gefühl haben, dass man sie nicht ernst nimmt, ist alle Arbeit umsonst, denn sie erscheint verdächtig. Und wenn der Gegner erst das schlechte Argument aufgreift und einen lächerlich macht, verliert man leicht einen schönen Prozess. (22)

Und die nachfolgende Bemerkung scheint nicht nur für den Gerichtsaal, sondern auch das Vorlesungsauditorium gültig:

Es gibt kein allgemeines Vorbild. Man muss sich wohl oder übel seinem Temperament überlassen. Junge Anwälte ahmen oft ganz unbewusst einen älteren Kollegen nach. Wenn sie ähnlich veranlagt sind, ist der Schaden gering. Andernfalls kommt eine traurige Parodie herau, weil nur die Ticks und Fehler übernommen werden. (45)

 

Denken, Meinungen und das Recht

Im selben Text von Schopenhauer (Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten, Frankfurt 2005, 58) heisst es weiter:

Denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen Alle haben: Was bleibt das anderes übrig als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Andern aufnehmen?

Und dann etwas weiter (59 f.):

Ueberhaupt wird man nun finden, dass wenn zwei gewöhnliche Köpfe mit einander streiten, meistens die gemeinsam von ihnen erwählte Waffe Autoritäten sind: damit schlagen sie aufeinander los. – Hat der bessere Kopf mit einem solchen zu thun, so ist das Räthlichste, dass er sich auch zu dieser Waffe bequeme, sie auslesend nach Maasgabe der Blössen seines Gegners. Denn gegen die Waffe der Gründe ist dieser ex hypothesi, ein gehörnter Siegfried, eingetaucht in die Flut der Unfähigkeit zu denken und zu urtheilen.

Ach ja, das kommt dem Juristen doch bekannt vor. Sind Rechtswissenschaft und Theologie nicht essentiell verwandte Wissenschaften (soweit sie denn Wissenschaften sind), lösen beide doch Divergenzen unter Rekurs auf Autorität. Aber Schopenhauer ist natürlich zu intelligent, um das nicht zu erkennen:

Vor Gericht wird eigentlich nur mit Autoritäten gestritten, die Autorität der Gesetze die fest steht: das Geschäft der Urteilskraft ist das Auffinden des Gesetzes d.h. der Autorität die im gegebenen Fall Anwendung findet. Die Dialektik hat aber Spielraum genug, indem, erforderlichen Falls, der Fall und ein Gesetz, die nicht eigentlich zu einander passen, gedreht werden, bis man sie für zu einander passend ansieht: auch umgekehrt.

Ist das nicht, was Epipur sagt?

Schafe

ja, es giebt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten, sobald man es dahin gebracht hat sie zu überreden, dass solche allgemein angenommen sei. Das Beispiel wirkt auf ihr Denken, wie auf ihr Tun. Sie sind Schaafe, die dem Leithammel nachgehn, wohin er auch führt: es ist ihnen leichter zu sterben als zu denken.

Sagt Schopenhauer in seiner Eristik (Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten, Frankfurt 2005, 56). Und dann kommt gleich im Anschluss daran eine Passage, die wirklich nur einem Intellektuellen aus der Feder schlüpfen kann. Himmlisch:

Es ist sehr seltsam dass die Allgemeinheit einer Meinung so viel Gewicht bei ihnen hat, da sie doch an sich selbst sehn können, wie ganz ohne Urtheil und bloss kraft des Beispiels man Meinungen annimmt. Aber das sehn sie nicht, weil alle Selbsterkenntniss ihnen abgeht.

Ganz so, als wäre Selbsterkenntnis verbreitet oder auch nur erstrebenswert (vgl. Anatole France für die gegenteilige Ansicht.).

 

Tugend und Gefühl

Spricht die Encyclopédie:

VERTU, (Ord. encyclop. Mor. Polit.) il est plus sûr de connoître la vertu par sentiment, que de s’égarer en raisonnemens sur sa nature ; s’il existoit un infortuné sur la terre, qu’elle n’eût jamais attendri, qui n’eût point éprouvé le doux plaisir de bien faire, tous nos discours à cet égard seroient aussi absurdes & inutiles, que si l’on détailloit à un aveugle les beautés d’un tableau, ou les charmes d’une perspective. Le sentiment ne se connoit que par le sentiment ; voulez vous savoir ce que c’est que l’humanité ? fermez vos livres & voyez les malheureux : lecteur, qui que tu sois, si tu as jamais goûté les attraits de la vertu, rentre un instant dans toi même, sa définition est dans ton coeur.

Und das von der scheinbar so vernunftbesessenen Aufklärung! Offenbar wusste man damals noch, dass der Kopf nicht wirklich zuverlässig ist. Hingewiesen sei nur nebenher auf Adam Smith und seine Theory of Moral Sentiments.

In Zukunft strikte Linie

Verschiedene Medien berichten, die deutsche Bundeskanzlerin habe in einem “ARD-Sommerinterview” (vgl. etwa die Deutsche Welle oder Die Zeit) zur Frage der Ausspähung von Daten durch die NSA Folgendes bemerkt:

“Ich erwarte eine klare Zusage der amerikanischen Regierung, dass man sich auf deutschem Boden an deutsches Recht hält in Zukunft”

Aha. Man beachte die nachgeschobene Einschränkung, die schon grammatikalisch ungeschickt wird: In Zukunft. Der Zweck heilige nicht die Mittel und nicht alles, was man könne, dürfe man auch. Aha. Und dann:

Deutschland werde dazu in den Gesprächen mit den USA, aber auch innerhalb Europas, eine sehr strikte Position vertreten, kündigte die Kanzlerin an.

Wiederum, in Zukunft. Sehr lustig. Man weiss überhaupt nicht, oder sagt, man wisse nicht, wer denn wen wie ausgespäht habe, gleichzeitig scheint indes klar, dass auch Deutschland auf die NSA-Schnüffel-Daten zugegriffen hat, andererseits aber muss man dann doch zugeben, dass die “verhinderten” Terroranschläge evtl. in einem sehr frühen Stadium verhindert wurden. Aber eben, in Zukunft will man dann sehr strikt sein. Wohl sehr in der Zukunft.

PS: In Zukunft möchte ich noch Chinesisch, Russisch und Hindi lernen.