Schweigen

Wie seltsam: Immer weiss ich, immer, wenn Du mich anlügst. Die Stimme schwankt und stolpert, die Augen buchstabieren es auch für den Dümmsten. Am deutlichsten aber: Dein Schweigen. Meist sagen wir das Wichtigste, wenn wir nicht reden.

Liebe töten

Diejenigen, die uns lieben, ängstigen uns mit ihrer Liebe. Sie wollen wir nicht enttäuschen,  ihr Urteil ist uns wichtig, vor ihnen schämen wir uns. Wie viel leichter fällt uns doch, einem völlig Fremden, einem, der uns ganz und gar egal ist, unsere dunklen Geheimnisse, unsre Lügen und Missetaten zu offenbaren. Unsere Liebe zu denjenigen, die uns lieben, unsere Achtung und unser Respekt für sie, zwingen uns in ein Theaterspiel, das uns schwer wird. Unsere Wut aber, unseren Schmerz und unsere Kränkungen zeigen wir nicht denjenigen, die uns egal sind, denn ihnen gegenüber spielen wir unsere Rolle so gut wir es vermögen, sondern denjenigen, die uns lieben. Nicht der kleinste Teil der Dunkelheit gründet wohl darin, dass wir diejenigen, die uns lieben, unvergleichlich stärker verletzen als alle anderen, dass wir töten, was wir lieben.

Time changes, times change

Der Vater und sein 14jähriger Sohn sind auf Ferienreise, im Auto unterwegs.

Sohn: Du bist ein Arschloch! Nie mehr komme ich mit Dir in die Ferien! Schlösser und Kathedralen, Kathedralen und Schlösser …
Vater: …

Es folgt eine Pause von etwa 15 Minuten, in der nicht gesprochen wird.

Vater: Ich bin gern mit Dir unterwegs, gern in Deiner Gesellschaft.
Sohn: Ich auch mit Dir.

Vernunft & Liebe

Spricht der heilige Trinker Joseph Roth 1936 in seinem Vortrag “Glauben und Fortschritt”:

Stellen wir die Vernunft in den Dienst dessen, wozu sie uns gegeben ist, nämlich in den Dienst der Liebe.

Das klingt nach Glaube, aber es ist Verzweiflung, denn dazu wäre die Vernunft tatsächlich da, nicht wahr?

Ostende und die Haut

Ist es nicht phantastisch? Egal wie viele Sonnenuntergänge man gesehen hat, es wird nicht langweilig. Egal wie oft man auch am Meer war, es bleibt überwältigend. Und egal wie viel man gelesen hat, immer kann man Entdeckungen machen. Kaum bin ich mit den beiden Herrren am Strand zu Ende, fällt mir ein anderes kleines Buch in die Hände, das ich vor einiger Zeit gekauft hatte: Volker Weidermann, Ostende – 1936, Sommer der Freundschaft, Kiepenheuer & Witsch 2014. Weidermann (*1969) kenne ich von seinem Buch der verbrannten Bücher (Kiepenheuer & Witsch 2008), einer Art Lexikon der von den Nazis verfolgten Autoren. Nicht gelesen habe ich dagegen seine Literaturgeschichte Lichtjahre, die erhebliche Kontroversen ausgelöst hat.

Ostende erzählt, wie der Untertitel bereits andeutet, die Begegnung zweier Freunde im Sommer 1936 in Ostende. Es handelt sich um Stefan Zweig (1881-1942) und Joseph Roth (1894-1939). Keine gute Zeit für kritische Geister. Keine gute Zeit für Juden, und beide Freunde sind Juden. Natürlich tauchen neben den beiden noch viele andere prominente Exilautoren auf, etwa Egon Erwin Kisch (1885-1948) oder Hermann Kesten (1900-1996) und insbesondere auch Roths spätere Geliebte, Irmgard Keun (1905-1982), eine der autnomsten und eindrücklichsten Frauen des 20. Jahrhundert überhaupt.

Eine kleine Geschichte will ich wiedergeben zu Roth, damit Du siehst, warum ich ihn liebe. Roth spricht mit seinem Freund Soma Morgenstern (1890-1976) über das Alter:

Wie er sich selbst als Greis sehe, wollte er von Morgenstern wissen. Der hatte darüber noch nicht nachgedacht. Die Männer seiner Familie wurden ohnehin nicht alt. Doch Roth hatte oft und viel darüber nachgedacht. Er würde sehr alt werden, da war er sich sicher. Er erklärte dem verwunderten Freund: “Und immer sehe ich mich so: Ich bin ein alter, magerer Greis. Ich habe ein langes schwarzes Gewand an mit langen Ärmeln, die meine Hände fast ganz bedecken. Es ist Herbst, und ich gehe in einem Garten spazieren und denke mir listige Intrigen aus gegen meine Feinde. Gegen meine Feinde und auch gegen meine Freunde.”

Ist das nicht schön? Die zweite Geschichte betrifft Roth und seine Begegnung mit Irmgard Keun.

Sie geben sich die Hand, freundlich, Irmgard Keun sieht seine zarten, weissen Hände, die aus den schwarzen Ärmeln ragen, sie sieht den blonden, fransigen Schnurrbart, Asche auf seinem Rock. “Meine Haut hat sofort ‘Ja’ gesagt”, schreibt sie später. … 

Sie sagt später, sie habe nie zuvor und nie danach einen Mann mit so grosser sexueller Anziehungskraft kennengelernt wie Joseph Roth. An diesem Abend. Im Cafe Flore. Am liebsten würde sie sofort mit ihm gehen, egal wohin. Nur weiter zuhören und erzählen. Bei ihm sein. Und trinken.

Ist das nicht präzise? Und ehrlich. Wir haben hier ja bereits über die Haut gesprochen (etwa hier oder hier). Und Keun kennt das offenbar. Tatsächlich gibt es kein besseres, ja kein anderes Kriterium als das ‘Ja’ der Haut.

Verständnis und Sensibilität

Stimmt schon. Mein Fehler. Selber schuld. Aber das ändert eben nichts. Die Frage nach der Schuld beruhigt nur Gartenzwerge. Das Weh wird nicht weniger, wenn wir wissen, woher es kommt und wer es verursacht hat. Unsere Kindheit ändert sich nicht, wenn wir beginnen, sie zu verstehen. Johannes Urzidil (1896-1970) hat das schön formuliert:

Nicht nur für das, was wir tun, auch für das, was uns zustösst, sind wir verantwortlich, und mehr noch als unsere Taten setzen uns unsere verfehlten Nachgiebigkeiten herab.

Die Erklärung des Schmerzes mindert ihn nicht. Das ist das eigentliche Skandalon. Dies ist die eigentliche Wurzel des Schmerzes, der mystische Grund unserer Traurigkeit, unserer Untröstlichkeit: Das Verständnis der Dinge ändert sie nicht. Bessert sie nicht. Mildert sie nicht. Dies ist, was Intellektuelle und Sensible gleichermassen schockiert und ganz und gar sprachlos macht. Weil es ihre vollständige (und ich meine wirklich: vollständige, also jede Faser erfassende und durchdringende) Nutz- und Sinnlosigkeit, ja vielleicht gar Schädlichkeit so offenbar, so überdeutlich werden lässt. Worin könnte der Sinn eines Unternehmens bestehen, das den Schmerz nicht mindert? Es bleibt nur die vage Hoffnung, dass ein nachlässiger Gott uns das Gebrabbel verzeiht.

Nur die Liebe vermöchte, das Weh zu mindern. Wenn überhaupt. Ich fürchte allerdings, ach Rothschild, auch dies sei mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Mir gehen die Argumente aus …