Liebe und das Ähnliche

by | Sep 17, 2014 | Die Bemerkung | 0 comments

“Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches im Unähnlichen wahrzunehmen”, sagt Theodor Wiesengrund Adorno (1903-1969, gestorben übrigens im schweizerischen Visp), einer der Heroen der Frankfurter Schule und einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, in den Minima Moralia (Frankfurt 1951, 362). Das Zitat wird überall wiederholt, wenn auch meist ohne Angabe seiner genauen Herkunft (aber vielleicht muss man ja auch nicht mehr wissen als “Adorno”). Ich war nie sonderlich Freund Adornos, zu politisch, zu gestelzt. Zu intellektuell und reflektiert, hätte ich beinahe gesagt, aber das trifft es natürlich nicht. Wir lieben Intellekt und Reflexion. Natürlich. Darum geht es hier ja dauernd. Eigentlich nur darum. Nein, das ist es nicht. Was ich meine, ist eher: “zu abstrakt”.

Adorno schreibt zwar auch in den Minima Moralia gescheite Dinge über die Liebe. Etwa:

Einmal ganz Besitz geworden, wird der geliebte Mensch eigentlich gar nicht mehr angesehen. Abstraktheit in der Liebe ist das Komplement der Ausschließlichkeit, die trügerisch als das Gegenteil, als das sich Anklammern an dies eine so Seiende in Erscheinung tritt. (140)

Oder

Wie Liebe unabdingbar das Allgemeine ans Besondere verrät, in dem allein jenem Ehre widerfährt, so wendet tödlich nun das Allgemeine als Autonomie des Nächsten sich gegen sie. (308) … Das Geheimnis der Gerechtigkeit in der Liebe ist die Aufhebung des Rechts, auf die Liebe mit sprachloser Gebärde deutet. (309)

Aber das ist nicht selten ein bisschen falsch, oder jedenfalls ein wenig kindlich. Denn natürlich kann kein Geliebtes Besitz werden (und schon gar nicht “ganz”). Immer ist es nur “geliehen” oder “geschenkt”. Immer auf Zeit. Immer fragil. Immer entfliehend. Deshalb sind die Sekunden mit dem Geliebten so wertvoll, so kostbar, immer ungenügend. Dies macht denn auch den Schmerz aus, der der Liebe innewohnt, ihren Kern, vergleichbar dem Inneren der Sonne, ein Fusionsofen, der alles schmelzen lässt und sich selbst dabei verzehrt.

Vieles mag die Liebe sein, aber die Entdeckung des Ähnlichen im Unähnlichen wohl kaum. Die Phrase gehört eher in ein Poesie-Album (was wohl auch der Grund sein dürfte für die grosse Verbreitung der Phrase). Kindliche, oberflächliche Verliebtheit kennzeichnet sich dergestalt. Im Bestreben, mit dem Geliebten verbunden zu sein, suchten wir überall nach Gemeinsamkeiten zwischen dem Objekt unserer Liebe und uns selbst. Gerade dies aber tut die Liebe nicht. Vielmehr erkennt und konstituiert sie das Geliebte als Einzigartiges, Unvergleichliches, Unersetzliches. Und jeder Versuch, dieses Einmalige in Bezug zu setzen zu Anderem, es zu verknüpfen mit Etwas, und sei es auch nur mit uns selbst oder unserer Liebe, vernichtet es notwendig und unumkehrbar als Absolutes, zerstört also gerade das, was wir begehren.

Und deshalb bleibt der Liebe letztlich nur, das Geliebte aus der Ferne zu begehren, zu bewundern, zu schützen so gut es eben geht (muss ich an die Bibel der Liebe, Gustave Flauberts Éducation sentimentale, erinnern?). Kommt sie ihm aber nahe, so frisst sie es auf mit Haut und Haar, verschmilzt mit ihm, indem sie es verschlingt und damit vernichtet (Heinrich von Kleists Penthesilea bleibt die Referenz).

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