Rechtfertigung und Kommunikation

by | Feb 21, 2016 | Die Bemerkung | 14 comments

Ich mag nicht mehr. Ich mag einfach nicht mehr.

Du kennst das ganz gewiss – und verstehst, ohne dass ich es erklären muss: Du bist so müde, dass Du nicht einmal sagen magst, was ist.

Ist nicht alles wirkliche Verständnis letztlich selbstverständlich und deshalb stumm, braucht keine Erklärung, keine Rechtfertigung (“Es gibt freilich Rechtfertigung; aber die Rechtfertigung hat ein Ende.” Wittgenstein, Über Gewissheit, Nr. 158)? Ist nicht jede Erklärung und jede Rechtfertigung ein Versuch der Abstraktion? Ein Versuch, das Unvergleichliche, das Einmalige in einen Kontext zu rücken, es herzuleiten (was ganz unnötig und sinnlos ist, denn es hat ja stattgefunden), es mit Anderem zu vergleichen und damit denjenigen verständlicher zu machen, die es nicht zu verstehen vermögen? Entwerten damit Erklärung und Rechtfertigung – trotz all ihrer gutgemeinten Ziele – nicht gerade das, was sie zu verteidigen vorgeben? Berauben sie es nicht seiner Einmaligkeit, seiner Evidenz?

Und sind Rechtfertigungen denn überhaupt möglich? Bleiben sie letztlich nicht immer sinnlos? Weil diejenigen, die verstehen, sie nicht benötigen sie, und sie diejenigen, die es nicht tun, nicht zu überzeugen vermögen.

Vielleicht ist dies, was uns erschöpft, dass Rechtfertigung und Erklärung letztlich nur dort überhaupt möglich, wo sie gerade nicht nötig sind.

14 Comments

  1. boet

    Mir scheint, deine Auffassung deutet darauf hin, dass ein Verständnis ein für alle mal und unveränderlich entweder besteht oder nicht besteht. Die Möglichkeit einer Änderung des Verständnisses scheint ausgeschlossen. Ist es denn nicht möglich, dass ein Verständnis durch Erklärung und Rechtfertigung zu einem anderen (mit dem Erklärenden und Rechtfertigenden übereinstimmenden) Verständnis wird? Ist Erklärung und Rechtfertigung mit anderen Worten – gerade dort, wo kein Verständnis herrscht – nicht ein Werben um Verständnis? Natürlich mit offenem Ausgang (wie jedes Werben), d.h., das Gegenüber macht sich die Erklärung zu eigen oder eben nicht. Würde deine Auffassung letztlich nicht dazu führen, dass jegliche Kommunikation sinnlos wäre? (Ich habe die Vermutung, dass du jetzt sagen wirst: Ja! Und? und in einem gewissen Sinne hättest du vielleicht recht, dennoch entspricht Solches nicht meiner Empfindung, wobei ich mich gerne eines Besseren belehren lasse;-))

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  2. Filifjonka

    Ich will gerne einverstanden sein damit, dass Erklärung und Rechtfertigung Versuche seien, um Verständnis zu werben. Einseitige Versuche halt.
    Das widerspricht meiner Aussage indes nicht wirklich. Denn solche Werbung bleibt dort, wo Verständnis nicht besteht, erfolglos, dort aber, wo es besteht, unnötig.
    Aber Einbahnstrassen sind natürlich auch Strassen.

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  3. boet

    Eben, ich sage, letztlich würdest du wohl vertreten, dass jegliche Kommunikation sinnlos wäre: Wir verstehen uns entweder, dann ist Kommunikation nicht nötig und wir können stumm bleiben beziehungsweise bleiben stumm. Oder wir verstehen uns nicht, dann rufen wir aber alle einfach in die Welt hinein, ohne dass es auf die anderen Rufer einen Einfluss hätte. Ich bin total einverstanden, dass wirkliches Verständnis keine Erklärungen braucht und auch, dass bei Unverständnis letztlich keine Erklärung überzeugt. Es hat keinen Zweck, Toni Brunner die Absurdität der kürzlich abgelehnten Durcheinanderinitiative zu erklären. Aber wir sollten ja auch nicht Toni Brunner zum Vorbild nehmen, oder? Solange es Leute gibt, die bereit sind sich auf die Werbung einzulassen, ist sie jedenfalls nicht sinnlos, finde ich.

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  4. Klein Mü

    Ich reagiere immer etwas empfindlich, wenn Politiker als Beispiele in Diskussionen über die Sprache heran gezogen werden, verzeiht (Ich frage mich inwiefern die sich überhaupt rechtfertigen und nicht einfach nur brabbeln, aber vielleicht ist das eh das Selbe).
    Filifjonka sagt doch einfach, dass Rechtfertigungen sinnlos sind. boet, ist denn alle Kommunikation immer nur Rechtfertigung?
    Und über Schweigen ist überhaupt keine Kommunikation möglich? Also das gefällt mir irgendwie nicht.

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    • Filifjonka

      Ist alle Kommunikation Rechtfertigung?
      Gute, aber schwierige Frage. Ich glaube, die Antwort ergibt sich, wenn wir das Reden vergleichen mit dem Schweigen, das erwähnt wurde. Nie sagt ein Mensch mehr, als wenn er auf die Frage, was sei, antwortet “nichts”. Nie habe ich selbst mehr gesagt, als mit Blicken, nie wurde mir mehr gesagt. Aber das ist schwer auszuhalten, denke ich. Das Problem scheint mir, dass wir dem misstrauen, uns selbst misstrauen.

      Am Schweigen erkennt man auch, so glaube ich, was ich mit Erklärung und Rechtfertigung meinte. Schweigend sind beide schwierig. Deshalb können wohl wir praktisch nur mit Menschen gemeinsam schweigen, die wir mögen, die wir lieben, die wir verstehen. Mit allen anderen ist uns das so unangenehm, dass wir uns entweder gegenseitig ignorieren, oder wir zu labern beginnen. Das Einzige, was Reden wirklich sagt, ist eigentlich: “Ich möchte mit Dir reden”. Alles andere ist schon da oder kommt nicht mehr.

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      • Klein Mü

        Ja, es ist schwer auszuhalten.
        Und ja, mir scheint genauso, dass das Problem darin liegt, dass wir uns selbst misstrauen.
        Aber es erstaunt mich nicht, dass ich mir misstraue. Ich weiss doch, habe doch “gelernt”, dass immer die Haut noch dazwischen liegt. Nie könnte ich mein Gegenüber gänzlich erfassen, bei allem Verständnis und aller Liebe nicht.
        Selbst wenn ich dir in die Augen sehe und mich selbst darin wiederfinde, bleibt die Möglichkeit, dass du dich in meinen nicht wiederfindest und ich mir eine Verbundenheit eingebildet habe.
        Das ist alles furchtbar schwer zu ertragen.
        Wollen wir mit Sprache nicht einfach Sicherheit schaffen? Dem Schmerz “ausweichen”?

        Jetzt klinge ich, als würde ich Sprache schlecht finden (und boet möchte mir sicher widersprechen?). Nein, ich finde, dass Sprache zwei Gesichter hat: Einerseits bezweifelt sie die Verbundenheit, gibt uns die Möglichkeit uns selbst zu misstrauen. Andererseits ist sie auch ein Beweis für Verbundenheit, wenn du sagst, dass wir reden, weil wir miteinander reden wollen. Dann kann Kommunikation Rechtfertigung sein oder nicht.
        Rechtfertigung bleibt aber in der Sprache, denn schweigend brauchen wir sie nicht (das hast du aber ja schon gesagt).

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  5. boet

    Einverstanden, ich sage ja gerade, dass Politiker nicht als Vorbild dienen sollen. Und einverstanden, das mit der gänzlichen Sinnlosigkeit der Kommunikation war vielleicht überspitzt. Genauso überspitzt ist es aber, Rechtfertigungen als sinnlos zu bezeichnen. Ich wollte nur dies sagen. Mit Kommunikation habe ich, vielleicht etwas unpräzis, das Sprechen gemeint. Dass eine Kommunikation abseits des Sprechens möglich ist, streite ich nicht ab.

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    • Filifjonka

      Du sagst also, wenn ich es richtig verstehe, Rechtfertigung ist nicht sinnlos, sofern sich jemand darauf einlässt? Aber Dort ist sie doch nicht wirklich nötig, oder schon? Wenn auf mein “ich will mit Dir sprechen” die Antwort kommt “ich auch mit Dir”, dann ist damit auch schon alles gesagt, was nötig ist, aber auch alles, was möglich ist. Oder siehst Du das anders?

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      • boet

        Auf obige Frage von Klein Mü (Ist alle Kommunikation Rechtfertigung?) antwortest du, so scheint mir, mit ja. Schweigen und damit wirkliches Verständnis geht nämlich eigentlich nur mit wirklich Vertrauten. Ebenso könnte man sagen, Schweigen geht nur bezüglich Dingen/Sachverhalten/Anschauungen etc., die nicht zur Diskussion stehen, die eben schlicht kein Thema sind. Wenn wir also sprechen, so tun wir dies, um eben etwas zum Thema zu machen, dieses Etwas aus der behüteten Zone des Schweigens und des Stumm-sich-Verstehens herauszulocken. Jetzt befindet sich das Thema auf unsicherem Terrain und das Kommunikationsspiel und letztlich wohl eben auch ein Erklärungs- und Rechtfertigungsspiel beginnt. Und jetzt, so scheint mir, braucht es Leute, die sich einlassen, ansonsten es einfach bei einem Rufen in die Welt hinein bleibt. Bis jetzt habe ich immer eine Ente gesehen, ein Hase war schlicht nicht Thema. Erst wenn der Hase ein Thema wird und ich mich auf die Möglichkeit des Hasen einlasse, werde ich möglicherweise den Hasen sehen, vielleicht aber auch an meiner Ente festhalten (Ich bin nicht verrückt, spiele nur auf ein Kippbild an).

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  6. Filifjonka

    Das stimmt, lieber boet, das stimmt. Alles. Stimmt wirklich alles.
    Ist auch wirklich schön gesagt mit dem Einlassen und dem unsicheren Terrain.
    Aber all das widerspricht nicht dem, was ich sagte. Den Hasen wird (vielleicht nicht sehen) überhaupt nur schon verstehen, wer ihn in sich trägt, wer quasi schon ein Hase ist. Ich kann den Enten nicht sagen, dass sie auch Enten sind, nicht in einer anderen Welt und nicht nur Enten, aber hier und jetzt auch Enten. Sie werden mich anglotzen und auslachen, wenn es gut geht, sonst wird es Prügel und Verhaftung oder, was ja immer beliebter wird, weil es so schön die Verantwortung von einem nimmt, das Irrenhaus.

    Ich sage also nichts anderes als Du. Die Enten verstehen nicht, was ein Hase ist. Und werden es nicht verstehen, bis man sie an ihren Löffeln zieht (manchmal werden ja unsere saturierten und so selbstgefällig sicheren Entenfreunde vom Schicksal auch einmal abgeklopft, und dann lernen manche von ihnen. Manchmal).

    Natürlich braucht es jemanden, der bereit ist, sich einzulassen. Aber der bringt eben schon alles mit, was Kommunikation kann, was sie eigentlich darstellt. Nämlich die Ungewissheit, was richtig ist (oder jedenfalls die Möglichkeit, dass man es nicht wisse), die Unkenntnis, wer man selbst sei (oder jedenfalls die Möglichkeit, dass man Hasenohren haben könnte), und die Bereitschaft, den Schmerz des Anderen als Möglichkeit überhaupt zuzulassen.

    Kein Dissens also, wie mir scheint.
    Ausser vielleicht, dass ich mir weniger sicher bin als Du, nicht verrückt zu sein.
    Dennoch versichere ich gerne, von Enten und Hasen nur Dir zu liebe zu reden.

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    • boet

      Verstehe ich dich richtig: Derjenige Entenfreund, der einen Hasen zumindest als Möglichkeit in Betracht zieht, trägt den Hasen schon in sich, ist also so gesehen im Grunde ein Hasenversteher? Wie ist es, wenn der Entenfreund einen Hasen in Betracht zieht, am Ende aber trotz Möglichkeit eines Hasen an der Ente festhält? Ich bin im Übrigen nicht sicher, nicht verrückt zu sein, sonst würde ich mich auf derlei Diskussionen wie hier nicht einlassen.

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      • Filifjonka

        Genau so ist es. Der Hasenversteher trägt den Hasen bereits in sich, selbst wenn er sich bzw. dem Hasen nicht traut und an der Ente festhält. Dafür gibt es ja viele Gründe, nicht nur den sozialen Druck, sondern auch die eigenen Ängste, Zweifel und dgl. mehr.
        Also ja, ganz richtig verstanden, genau das denke ich.

        Ich bin auch froh, dass Du die Möglichkeit zugibst, nicht zweifelsfrei geistig gesund zu sein. Mich hatte Deine apodiktische Versicherung der eigenen Geistesgesundheit ohnehin zweifeln gemacht. Das tun ja eigentlich nur Wahnsinnige. Und als Hasenversteher hattest Du Dich ja bereits zu erkennen gegeben. Das Gesunde war damit bereits zum Fenster hinaus entschwunden.

        Bei genauer Betrachtung gibt es ja eigentlich nur Gläubige und Zweifler. Und die Zweifler werden sich ihrer Gesundheit nie sicher sein, werden in sich immer nach einem Hasen suchen, sogar wenn der gar nicht da ist.

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        • boet

          Hm. Mit anderen Worten: Es kann sich über die Auffassung, ob nun eine Ente oder ein Hase vorliegt ein Streit ergeben. Der aufgeschlossene Entenfreund zieht den Hasen in Betracht, überlegt und verwirft – vielleicht auch mit schalem Gefühl – die Möglichkeit des Hasens und hält an der Ente, wofür es womöglich genauso gute Gründe gibt, fest. Kann der Hasenfreund dies nicht akzeptieren (und lässt er sich nicht, weil er vielleicht auch aufgeschlossen ist und die Ente in Betracht zieht, von der Ente überzeugen), haben wir doch eine Situation des Unverständnisses. Ist es da nicht ein wenig theoretisch, wenn gesagt wird, im Grunde versteht der festhaltende Entenfreund den Hasenfreund? Ist es nicht so, dass am Ende eines Erklärungs- und Rechtfertigungspiels sich eine Situation des Unverständnisses oder eben auch des Verständnisses einstellen kann? Kann man keine “Erleuchtung” (z.B. von Ente zu Hase), die sich aus der Auseinandersetzung ergibt, haben? So gesehen, wäre die Erklärung und Rechtfertigung wohl dazu da, den Entenfreund zu stimulieren, damit er womöglich den Hasen, der ja in ihm steckt, finde. Wenn das aber so ist, dann ist meiner Ansicht nach Erklärung und Rechtfertigung nicht sinnlos. Aber vielleicht drehen wir uns im Kreise und sind im Grunde einig. Die obige Bemerkung zum Verrücktsein war an diejenigen gerichtet, die bei Ente und Hase nur Bahnhof verstehen. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ich auf ein Kippbild Bezug nehme.

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          • Filifjonka

            Nun ja. Das sehen wir offenbar verschieden. Ich glaube tatsächlich, dass kein Hase zum Vorschein kommt, der nicht schon da war. Das Erklärungs- und Rechtfertigungsspiel ist gezinkt. Ich würde also allem zustimmen, ausser dem “Am Ende eines …spiels”. Das ist bereits zu Beginn so. Genau wie bei einer Corrida. Es ist nicht vorgesehen, dass der Torero stirbt.
            Wenn es doch geschieht, verwundert es alle. Anders beim Stier.

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