Es regnet …

Kennst Du Jaroslav Seifert (1901-1986), den tschechischen Lyriker, der 1984 immerhin den Nobelpreis erhalten hat? Von Seifert gibt es ein wunderbares Gedicht, Der Regenschirm vom Piccadilly. Das Gedicht ist nicht lang (3 kleine Seiten), aber zu lang, als dass ich es hier im Volltext anführen könnte. Immerhin sei der Anfang wiedergegeben:

Wer mit der Liebe nicht ein noch aus weiß,
verliebe sich
Meinetwegen in die englische Königin.
Warum nicht!
Ihr Gesicht ist auf jeder Briefmarke
des altehrwürdigen Königreichs.
Sollte er sie jedoch
um ein Stelldichein im Hyde Park bitten,
kann er Gift darauf nehmen,
dass er vergeblich warten wird.

Wenn er aber nur ein bisschen vernünftig ist,
wird er sich klug zureden:
Ach ja, ich weiß schon,
Es regnet doch im Hyde Park heute.

aus: Jaroslav Seifert:
Im Spiegel hat er das Dunkel, Gedichte, Waldbrunn 1982

Ist das nicht schön? Und tröstlich! Gerade an einem Tag wie diesem. Die Königin wird wohl auch nicht kommen, wenn es derart neblig ist. Das kann man ja wirklich verstehen.

Zukunft, Risiko und Verdammung

Einer der vielleicht besten Texte überhaupt zur Frage von Kontrolle bzw. Beeinflussung der Zukunft, zur Frage also von Sicherheit und Prävention stammt nicht von einem Wissenschaftler, sondern (wie könnte es anders sein) von einem Schriftsteller. Es handelt sich um einen der letzten Texte von Mark Twain (1835-1910), nämlich die Erzählung (genauer gesagt: den unvollendet gebliebenen letzten Versuch eines Romans) “Ein geheimnisvoller Fremder” (The Mysterious Stranger), im Wesentlichen ein Gespräch zwischen ein paar Jungen und Satan. Alleine schon die Publikationsgeschichte ist ein Krimi für sich und es existieren verschiedene Versionen. Doch wurde Besseres zur Frage von Kontingenz, Zufall, Schicksal und unserer lächerlichen Hilflosigkeit nie geschrieben.

Der Text findet sich (englisch) vollständig online hier. Wer ihn herunterladen möchte auf einem e-Reader findet Formate hier.

Poeten und ihre Hilflosigkeit

… und auch dies wahr, unglücklicherweise

Outside the street’s on fire
In a real death waltz
Between what’s flesh and what’s fantasy
And the poets down here
Don’t write nothing at all
They just stand back and let it all be
And in the quick of the night
They reach for their moment
And try to make an honest stand
But they wind up wounded
Not even dead
Tonight in Jungleland

Bruce Springsteen, Jungleland

Diese Polen …

… erschreckend-verstörend treffsicher:

Rast

Wir machten rast im städtchen der wirt
ließ den tisch in den garten tragen der erste stern
ging auf und erlosch wir brachen das brot
man hörte heimchen zirpen in den dosten des abends
und weinen doch weinen des kindes dazu die geschäftigkeit
von insekten menschen gesten geruch der erde

die mit dem rücken zur mauer saßen
sahen – lilafarben jetzt – den hügel der galgen
den dichten efeu der exekution am gemäuer

wir assen viel
wie immer wenn niemand zahlt

Zbigniew Herbert.
Aus: Inschrift, übersetzt von Karl Dedecius, Suhrkamp 1973.

Fragen stellen …

Fragen Stellen ähnelt dem Jüngsten Gericht

“And you never asked about the—place with the door?” said Mr. Utterson.

“No, sir: I had a delicacy,” was the reply. “I feel very strongly about putting questions; it partakes too much of the style of the day of judgment. You start a question, and it’s like starting a stone. You sit quietly on the top of a hill; and away the stone goes, starting others; and presently some bland old bird (the last you would have thought of) is knocked on the head in his own back-garden and the family have to change their name. No, sir, I make it a rule of mine: the more it looks like Queer Street, the less I ask.”

“A very good rule, too,” said the lawyer.

Robert Louis Stevenson: The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde,