by Filifjonka | Jan 1, 2014
Aber kann eine Philosophie, deren Ausgangspunkt das Bewusstsein ist, viel mit dem Dasein gemein haben? Das Bewusstsein als solches ist doch dem Leben gleichgültig. Das Leben kennt nur die Kategorien von Leid und Vergnügen. Nur in den Möglichkeiten Schmerz und Lust existiert die Welt für uns. Solange es kein Bewusstsein von Schmerz oder Lust ist, ist das Bewusstsein für uns ohne Belang. Ich habe mir die Existenz dieses Baumes bewusst gemacht – ja und? Er wärmt mich nicht, er macht mich nicht frieren. Bewusstgewordenes Sein ist kein Sein – solange meine Sinne es nicht empfinden. Wichtig ist bist das bewusstgemachte, sondern das empfundene Sein. Das Bewusstsein muss also ein Bewusstsein der Empfindungsfähigkeit sein, nicht unmittelbares Bewusstsein des Seins.
Das Leid aber (und also auch das Vergnügen) steht seinem Wesen nach im Widerspruch zum Begriff der Freiheit. Zu sagen, dass wir uns eine gewisse, grundsätzliche Möglichkeit von Freiheit angesichts des Leidens bewahren (die an der Sinnhaftigkeit unseres Wertesystems hinge; und sei es auch nur die Freiheit “in der Situation”), hiesse diesem Wort überhaupt jeden Sinn zu rauben. Das Leiden ist etwas, das ich nicht will, das ich erleiden muss, entscheidend ist hier der Zwang, also der Mangel an Freiheit. Es gibt wohl kaum einen grösseren Gegensatz als den zwischen Leiden und Freiheit.
Witold Gombrowicz, Berliner Notizen (Tagebuch 1964), Berlin 2013, 79
by Filifjonka | Dec 30, 2013
Ganz am Ende noch die Entdeckung des Jahres, für mich jedenfalls (denn ich bin ja ein wenig langsam). Das Amestoy Trio aus Toulouse. Akkordeon, Gitarre und Tuba. Leider gibt’s auf dem Netz die besten Dinge wie “9 Rue de Lappe” oder “Soir de Paris” nicht. Viele können aber hier online gehört werden, und immerhin zwei sehr schöne gibt es auf YouTube:
1. “La steppe”
und 2. “Marinette”
Beide aus dem Album “Le fil” aus dem Jahr 2003. Fünf Jahre später, 2008, ist “Sport et couture” erschienen. Beide Alben auf iTunes erhältlich.
Warum nur, frage ich mich, tröstet das mein wundes Herz? Ist Musik nicht der schlagende Beweis, dass es keinen Inhalt gibt jenseits der Oberfläche? Und ist denn Oberfläche nicht genug?
by Filifjonka | Dec 15, 2013
Daniel Kehlmann: Die Lichtprobe. In: Lob. Über Literatur. Reinbeck b. Hamburg, 2010, 180.
Natürlich sehnte ich mich nach anderen Möglichkeiten und danach, mehr als ein Leben zu führen, alle Kinder tun das, werden sie erwachsen, verdrängen sie es, es sei denn, sie werden Schauspieler oder sie schreiben
Aber wie das eben mit dem Verdrängen so ist, das klappt nicht so richtig. Dies ist es, was die bürgerliche Existenz so “unstimmig” macht, so “verstimmt” klingen lässt: sie geht nicht auf, fühlt sich irgendwie falsch an. Und selbst die, die sich ihrem Diktat vorbehaltlos unterwerfen, passen nicht so richtig hinein, denn Menschen sind nicht konsistent, sind “aus krummem Holz”, sind widersprüchlich, erratisch und kontingent. Und gerade der Versuch, dies zu verneinen (oder jedenfalls es auszublenden) durch vorbehaltloses Unterwerfen, mündet notwendig in der Katastrophe.
Die Welt ist aus den Fugen (time is out of joint), aber das ist eben nicht ein Fehler oder ein Defizit, sondern ihr Grundzustand, ihr Charakter, ihr Wesen. Die Welt ist mehr als die Summe ihrer Teile, das Leben mehr als die Summe seiner Augenblicke. Es lässt sich gerade nicht quantifizieren, bzw. die Quantifizierung eliminiert seinen wesentlichsten Kern. Jeder Mensch ist alle Menschen. Und alle Menschen sind notwendig widersprüchlich, denn die Conditio humana besteht darin, nicht aufzugehen, mehr als vollkommen zu sein, mehr als vollständig. Und diese unbeschränkte Potentialität ist notwendig widersprüchlich. Alleine schon der Wunsch, sie “ins Lot” zu bringen, sie zu fixieren und auf etwas zu behagten, sie ausnahmslos einer Regel zu unterwerfen, ist zutiefst unmenschlich, eliminiert alles, was liebenswert ist am Menschen, poetisch und gross. Der Wunsch nach Vorhersagbarkeit aber, nach Berechen- und Beherrschbarkeit ist der eigentliche Kern des bürgerlichen Lebens. Mehr als alles andere kennzeichnet, wie es mit Regeln aller Art Kontingenz und Widerspruch auszuschliessen sucht. Deshalb seine essentielle Opposition zu Überraschung, Zauber und Poesie, die es (da es sie nicht gänzlich ausschliessen kann) zu domestizieren sucht, indem es ihnen Raum gibt, aber nur im erwarteten, geplanten und angekündigten Rahmen, worin es – das Oxymoron zeigt es an – natürlich grandios scheitern muss.
Vielleicht ist dies, was nicht nur unsere Fixierung auf Kunst und Kultur begründet, sondern auch unseren Respekt vor der Kindheit: Unser Wissen, dass wir alle einst Genies waren, unsere Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit, die Wehmut des Zurückwünschens, die schemenhafte, aber unvergleichliche Erinnerung an unsere eigentliche Potentialität, die wir heute nur noch in der Liebe wiederzufinden vermöchten. Das aber lassen wir typischerweise gerade nicht zu.
by Filifjonka | Dec 15, 2013
Es [Shakespeares Stück: Der Sturm] pendelt zwischen dem wohlfeilen Gefallen an der gelingenden Vergeltung und der Verblüffung über jene alle Dramaturgie sprengende Verzeihung, wie wir sie immer wieder in Shakespeares Spätwerk finden – etwa wenn Alkibiades mit überlegenem Heer vor Athen steht, um Timons Kränkung zu rächen, ihn aber auf einmal die Wut verlässt und er unvermittelt beschliesst, es einfach sein zu lassen: “Führt mich in eure Stadt und mit dem Schwert bringe ich den Ölzweig: Krieg erzeuge Frieden und Frieden hemme Krieg.” Das ist nicht Pazifismus, sondern etwas Grösseres und Unheimlicheres, das wohl auch Nietzsche im Sinn hatte, als er von der “Selbstaufhebung der Gerechtigkeit” sprach. “Man weiss, mit welch schönem Namen sie sich nennt – Gnade; sie bleibt, wie sich von selbst versteht, das Vorrecht des Mächtigsten, besser noch, sein Jenseits des Rechts”. So auch hier im Sturm, da Prospero, der nun endlich alle, die sein Herzogtum stahlen, in der Gewalt hat, die Fäden fallen lässt, zurücktritt und sich in die Macht jener Leute begibt, von denen er nichts zu hoffen hat. Eine Ethik, paradoxer als die christliche, eben nicht bloss ein Rache-, sondern ein Gerechtigkeitsverzicht, eine all unsere Prinzipien durcheinanderbringende Gleichgültigkeit gegenüber der Idee, dass dem Menschen geschehen soll, was ihm zusteht, und eine Übeltat bestraft werden muss. Hier wartet kein Gott, der die aufgegebene Strafe anderswo vollziehen wird, Prospero ist dieser Gott, und wenn er verzichtet, wird es kein anderer tun. Das Übel bleibt ungesühnt, einfach weil es der Mühe nicht wert ist und weil die Bestrafung ja auch eine Handlung der Schwere wäre. Caliban lügt nicht mit seinen Beteuerungen, dass ihm Schlimmes zugefügt wurde – “dieses Eiland ist mein, von meiner Mutter Sycorax, das du mir wegnimmst” – aber allein sein Beharren darauf setzt ihn ins Unrecht gegenüber Ariel, der zu leicht ist für Erinnerungen, und gegenüber Prospero, dem die Gerechtigkeit in dem Moment, da er sie haben könnte, nicht mehr wichtig ist und der seinen Genius statt dessen in die Verwandlung entlässt.
Daniel Kehlmann: Shakespeare und das Talent, in: Lob. Über Literatur, Reinbeck b. Hamburg 2010, 115 f.
Tatsächlich, Strafe kostet nicht nur etwas, sie anerkennt auch den Bestraften als der Strafe würdig. Insofern ist “Gnade” nicht nur grosszügig, sondern immer auch überheblich, asymmetrisch und undemokratisch, wenn man so will. Primäre Frage ist immer: “Hat der Täter eine Strafe verdient?” Typischerweise wird diese Frage verstanden als Frage danach, ob die Tat wirklich so verwerflich war, ob man nicht Grosszügigkeit walten lassen könne, ob es sich tatsächlich um eine verantwortliche Tat und nicht vielmehr um eine Schwäche handelte etc. Das aber erfasst nur die Hälfte (und möglicherweise die unwichtigere). Das Verbum “verdienen” nämlich meint: Hat der Täter sich genügend angestrengt? Hat er genug getan, das wert wäre, darauf mit Strafe zu reagieren, darauf überhaupt zu reagieren? Hat er genügend daran “gearbeitet”? Oder ist umgekehrt, was er tat, schlicht zu unbedeutend? Ist er selbst zu unbedeutend? Der Strafverzicht ist Ausnahmezustand, d.h. Akt der Macht, und nicht etwa der Liebe.
by Filifjonka | Dec 12, 2013
“LEBEN” von hinten gelesen ergibt “NEBEL”.
Handelt es sich dabei um ein Palindrom? Kaum. Eher um Synonyme …
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