Sehnsucht und Liebe, nochmals …

Kann man sich sehnen, wenn man seiner Bürgerlichkeit entkommen und in die Liebe gefallen ist, hatten wir gefragt, und ich hatte mein Unwissen eingestanden. Ich habe dem nachzuspüren versucht und würde nun die Frage klar bejahen. Ich will ein Beispiel geben:

Kennst Du die Streicherserenade C-Dur op. 48 von Pjotr Tschaikowski? Ihr erster Satz (Pezzo in forma di sonatina), besonders der Beginn und die ersten zwei Minuten sind so sehnsuchtsschwer, so unerfüllt, dass ich sie kaum hören kann, ohne zu weinen. (Vielleicht wäre es nicht uninteressant, die verschiedenen emotionalen Tönungen der Traurigkeit anhand konkreter Musikstücke zu diskutieren.) Wenn ich versuche, das zu lokalisieren, an etwas Konkretem festzumachen, dann führt es mich immer in meine Kindheit. Und vielleicht ist es dies, Sehnsucht nach einem zärtlicheren, beschützteren Leben. Auch die Liebe nämlich, diese Alleskönnerin, vermag nicht die Wunden zu heilen, die uns geschlagen wurden, denn das bewusste Leben ist ja immer beschädigt, vielleicht ist gar Bewusstsein selbst eine Beschädigung. Und so gehören denn unsere Wunden nicht nur unabdingbar zu uns, wir sind diese Wunden. (Dies vielleicht auch der Grund, dass ich den Geretteten so sehr misstraue.) Auch wenn die Liebe notwendig neues Leid bedeutet, so kann sie uns doch trösten. Trösten, indem sie uns vergessen macht. Vergessen, wer wir sind. Die Liebe erlöst uns von uns selbst. Und unseren Erinnerungen – und damit auch von unseren Beschädigungen.

Der 1. Satz der Serenade mit dem Philadelphia Orchestra und Ormandy hier; die vollständige Serenade mit der Bayerischen Kammerphilharmonie und Greenberg hier.

Tellertheater

Theatermenu

Bei diesem Theatermenü wird gar nichts ausgelassen: Sowohl Liebhaber zerbrechlicher Vorspeisen als auch diejenigen, die es beim Nachtisch gern etwas lauter mögen, kommen auf ihre Kosten!

Ohrenbetäubendes Schweigen

A: “Wie geht es Dir?”

B: “Schlecht. Wirklich schlecht. Und Dir?”

A: “Auch nicht gut. Weisst Du, die Katze Deiner Schwester ist im Tierspital und muss möglicherweise eingeschläfert werden. Und natürlich nimmt sie es schwer.”

… es folgt ein zehnminütiger Bericht über das Leiden der Tiere und ihrer Halter …

A: “Wieso geht es Dir denn schlecht?”

B: “Ich weiss nicht, ich glaube, ich bin in eine schwere Depression gefallen.”

A: “Aber wieso nimmst Du denn nicht Tabletten. Seit ich Tabletten nehme, geht es mir wieder viel besser.”

… es folgt ein zehnminütiger Bericht über die ausgezeichnete Wirkung bestimmter Psychopharmaka, die Leiden der Geschwister und anderer Verwandten …

A: “Und sonst? Wie geht’s?”

B: “Was wie sonst? Ich hab doch gesagt, dass es mir sehr schlecht geht.”

A: “Ja, aber sonst, wie geht es sonst?”

B: “Du meinst, wie es mir geht, abgesehen davon, dass es mir sehr schlecht geht?”

A: “Ja.”

B: “Abgesehen davon, dass es mir sehr schlecht geht, geht es mir phantastisch. Danke.”

Wortwörtlich so erlebt. Heute Abend. Ehrenwort. Keine Silbe dazu erfunden. Muss ich mehr sagen über den Horror der Kindheit?