Oh sieh doch nur, wie frei wir heute sind.
Meine Hauptinformationsquelle blieben für mehrere Wochen der gehrocktragende Direktor des Adlon, der Kellner, der mir den Tip mit Liebknechts großer Stunde im Schlafzimmer der Hohenzollem gegeben hatte, und eine Gruppe homosexueller Flieger, die ich in einem Offiziersclub kennengelernt hatte. Es waren elegante Burschen, parfümiert und mit Monokel versehen und gewöhnlich voller Heroin oder Kokain. Sie liebten sich wechselseitig ganz offen, küssten sich in Cafe-Nischen und verdrückten sich etwa um zwei Uhr nachts in ein Haus, das einem von ihnen gehörte. Eine oder zwei Frauen befanden sich gewöhnlich in der Gesellschaft – breitmündige, dunkeläugige Nymphomaninnen mit adligen Titeln vor ihren Namen, doch mit unedlen Leidenschaften und Ausschnitten an ihren Flanken. Gelegentlich wurden der Haus-Gesellschaft kleine Mädchen von zehn oder elf Jahren zugeführt, die man vom Pflaster der Friedrichstraße rekrutierte, wo sie nach Mitternacht mit harten Gesichtern in polierten Stiefeln und kurzen Kinderkleidern paradierten.
So der Auszug aus dem Bericht von Ben Hecht im Jahr 1919. Schwer vorstellbar heute. Die gesamte Bagage wäre im Gefängnis, so kleinräumig und umfassend haben wir die Kontrollen eingerichtet.
Ben Hecht, Revolution im Wasserglas. Geschichten aus Deutschland 1919 (Auszug aus den Memoiren: A Child of the Century, 1954), 2. Auflage, Berenberg: Berlin 2014, 13 f.
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