Bewusstsein und Leid

Aber kann eine Philosophie, deren Ausgangspunkt das Bewusstsein ist, viel mit dem Dasein gemein haben? Das Bewusstsein als solches ist doch dem Leben gleichgültig. Das Leben kennt nur die Kategorien von Leid und Vergnügen. Nur in den Möglichkeiten Schmerz und Lust existiert die Welt für uns. Solange es kein Bewusstsein von Schmerz oder Lust ist, ist das Bewusstsein für uns ohne Belang. Ich habe mir die Existenz dieses Baumes bewusst gemacht – ja und? Er wärmt mich nicht, er macht mich nicht frieren. Bewusstgewordenes Sein ist kein Sein – solange meine Sinne es nicht empfinden. Wichtig ist bist das bewusstgemachte, sondern das empfundene Sein. Das Bewusstsein muss also ein Bewusstsein der Empfindungsfähigkeit sein, nicht unmittelbares Bewusstsein des Seins.

Das Leid aber (und also auch das Vergnügen) steht seinem Wesen nach im Widerspruch zum Begriff der Freiheit. Zu sagen, dass wir uns eine gewisse, grundsätzliche Möglichkeit von Freiheit angesichts des Leidens bewahren (die an der Sinnhaftigkeit unseres Wertesystems hinge; und sei es auch nur die Freiheit “in der Situation”), hiesse diesem Wort überhaupt jeden Sinn zu rauben. Das Leiden ist etwas, das ich nicht will, das ich erleiden muss, entscheidend ist hier der Zwang, also der Mangel an Freiheit. Es gibt wohl kaum einen grösseren Gegensatz als den zwischen Leiden und Freiheit.

Witold Gombrowicz, Berliner Notizen (Tagebuch 1964), Berlin 2013, 79

Mein wundes Herz

Ganz am Ende noch die Entdeckung des Jahres, für mich jedenfalls (denn ich bin ja ein wenig langsam). Das Amestoy Trio aus Toulouse. Akkordeon, Gitarre und Tuba. Leider gibt’s auf dem Netz die besten Dinge wie “9 Rue de Lappe” oder “Soir de Paris” nicht. Viele können aber hier online gehört werden, und immerhin zwei sehr schöne gibt es auf YouTube:

1. “La steppe”

und 2. “Marinette”

Beide aus dem Album “Le fil” aus dem Jahr 2003. Fünf Jahre später, 2008, ist “Sport et couture” erschienen. Beide Alben auf iTunes erhältlich.

Warum nur, frage ich mich, tröstet das mein wundes Herz? Ist Musik nicht der schlagende Beweis, dass es keinen Inhalt gibt jenseits der Oberfläche? Und ist denn Oberfläche nicht genug?

O Sicherheit, O Fürsorge

Spanien verbietet die sog. E-Zigaretten wie die Medien berichten (hier etwa die NZZ), d.h. elektrische Zigaretten, die Nikotin enthalten und die beim Ausatmen Wasserdampf produzieren. Das Lustige daran ist, dass anders als bei “richtigen” Zigaretten, hier das Argument der Schädigung anderer durch deren Passivrauchen überhaupt nicht sticht. Entsprechend wird denn auch nicht so argumentiert, sondern über die Raucher selbst, die man schützen müsse:

Minderjährige dürfen E-Zigaretten, die flüssiges Nikotin enthalten und beim Inhalieren in Dampf verwandeln, schon seit längerem nicht nutzen. […] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor E-Zigaretten, da ihre Folgen für die Gesundheit unzureichend erforscht seien. (so News.ch)

Und weil die WHO ihre Unbedenklichkeit nicht bestätigt hat, gelten sie als gesundheitsschädlich und dürfen nicht verwendet werden. Jetzt versteht man. Wahrscheinlich hat dann ja eine entsprechende Unbedenklichkeitsprüfung für Junk-Food-Ketten wie etwa MacDonald’s schon längst stattgefunden, richtig?

Oder noch etwas grundsätzlicher: Würde man sich eine solche Unbedenklichkeitsprüfung nicht auch für die Liebe wünschen. Solange sie nicht vorliegt, darf nicht geliebt werden. Und auch hier wäre doch Jugendschutz angezeigt, denn sind es nicht unsere frühesten Liebesbeziehungen, die uns am intensivsten gefährden (denn später lernen wir ja leider, Rüstungen anzuziehen)?

Gnade

Was für ein Weihnachtsfest! Die Königin von England vergibt Alan Turing doch noch sein Verbrechen – schwul gewesen zu sein.

Turing

Siehe 20Min

… noch Ende 2011 blockte das Justizministerium in London einen Vorstoß ab, Turings Verurteilung postum aufzuheben. Die Begründung: Er hätte schließlich gewusst, dass sein Tun zur damaligen Zeit strafbar gewesen sei.

So der Spiegel. Klar: Selber schuld! Aber immerhin: Wenn schon keine Gerechtigkeit, dann wenigstens Gnade. Wie schön. Der Spiegel weiter:

Die jetzige Entscheidung der Queen war laut Grayling erst die vierte Begnadigung durch einen Monarchen in Großbritannien seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Aha. Waren das auch Schwule, fragt man sich? Und hatte Grossbritannien in dieser ganzen Zeit nur 4 Schwule? Und wenn nicht, wer verzeiht dann den anderen und begnadigt sie? Und wie lange wird das bei denen dauern, die keine für das Königreich unersetzlichen Genies waren, sondern nur einfach schwul?

Wir hatten hier die Gnade und ihr Zugehören zu Gott bereits erwähnt. Nicht überflüssig deshalb vielleicht ein Passage aus der Bibel (Hebräer, 12/6 ff.):

6 Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er geißelt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. Wenn ihr Züchtigung erduldet, so behandelt euch Gott ja als Söhne; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? Seid ihr aber ohne Züchtigung, derer sie alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr ja unecht und keine Söhne!

Wieviel Trost doch Schwule (aber auch andere ungerecht Behandelte) in der Religion finden könnten, wenn sie nur wollten.