Liebe & Tod

Es war schauderhaft, wie jeder irgendwann aus oft unerfindlichen Gründen zu lieben begann, ohne davor gewarnt worden zu sein – bis es kein Zurück mehr gab.

Markus Gasser: Die Launen der Liebe, über Jane Bowles

Mut

Wie kommt es bloss, dass sich ausgerechnet diejenigen, die sich ganz besonders wagemutig und selbstsicher zeigen, wo es nichts zu verlieren gibt, als ängstliche Feiglinge erweisen, wenn der Spieleinsatz gross ist.

Berlin 1919

Oh sieh doch nur, wie frei wir heute sind.

Meine Hauptinformationsquelle blieben für mehrere Wochen der gehrocktragende Direktor des Adlon, der Kellner, der mir den Tip mit Liebknechts großer Stunde im Schlafzimmer der Hohenzollem gegeben hatte, und eine Gruppe homosexueller Flieger, die ich in einem Offiziersclub kennengelernt hatte. Es waren elegante Burschen, parfümiert und mit Monokel versehen und gewöhnlich voller Heroin oder Kokain. Sie liebten sich wechselseitig ganz offen, küssten sich in Cafe-Nischen und verdrückten sich etwa um zwei Uhr nachts in ein Haus, das einem von ihnen gehörte. Eine oder zwei Frauen befanden sich gewöhnlich in der Gesellschaft – breitmündige, dunkeläugige Nymphomaninnen mit adligen Titeln vor ihren Namen, doch mit unedlen Leidenschaften und Ausschnitten an ihren Flanken. Gelegentlich wurden der Haus-Gesellschaft kleine Mädchen von zehn oder elf Jahren zugeführt, die man vom Pflaster der Friedrichstraße rekrutierte, wo sie nach Mitternacht mit harten Gesichtern in polierten Stiefeln und kurzen Kinderkleidern paradierten.

So der Auszug aus dem Bericht von Ben Hecht im Jahr 1919. Schwer vorstellbar heute. Die gesamte Bagage wäre im Gefängnis, so kleinräumig und umfassend haben wir die Kontrollen eingerichtet.

Ben Hecht, Revolution im Wasserglas. Geschichten aus Deutschland 1919 (Auszug aus den Memoiren: A Child of the Century, 1954),  2. Auflage, Berenberg: Berlin 2014, 13 f.

Zeit

Das Leben vergeht. Es ist schon vergangen. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von (grosszügig gerechnet) 85 Jahren, erleben wir – wenn wir die ersten und letzten paar Jahre abziehen – bewusst vielleicht 80 Sommer, 80 Herbste, 80 Winter und 80 Frühlinge.

In Tagen gerechnet sind es ungefähr 30’000. Wenn wir mit 30 erwachsen werden, bleiben uns noch etwa 20’000. Wenn wir nur jede Woche nur ein Buch lesen wollten, wären das weniger als 3000 Bücher. Und selbst wenn wir bereits mit 15 damit begonnen hätten, ergäbe das wenig mehr als 3500. Und wer liest denn heute noch jede Woche ein Buch?

Warum also Bücher lesen, die uns nicht interessieren?