Regelbruch als Notwendigkeit

Und abgesehen davon braucht jede Begegnung eine erste Missachtung der Linie, die der Anstand um jeden Menschen zieht. Wer nur küsst, nachdem er dazu aufgefordert wurde, und wer nur geküsst wird, nachdem er sein Einverständnis gegeben hat, der wird niemals küssen und niemals geküsst werden. Wer etwas von der Welt erfahren will, einen Zugang zu den verborgenen Geheimnissen gewinnen, der muss durch die Türe gehen unaufgefordert, er kann nicht warten, bis er die Erlaubnis erhält. Keine Geschichte, schon gar keine Liebesgeschichte, kommt ohne Übertretung aus. Keine Eroberung ist erfolgreich ohne die Anmassung. Falls Philip also diese Frau ansprechen wollte, was nicht sicher ist, dann musste er etwas tun, das zumindest zweifelhaft war.

Lukas Bärfuss, Hagard, Wallstein 2017, 26

Liebe mit Zugabe

Gretchen liebte Eduard, nur mit der sehr menschlichen und durchschnittlichen Zugabe, dass sie sich selbst noch ein wenig mehr liebte.

Alice Berend, Die gute alte Zeit. Bürger und Spiessbürger im 19. Jahrhundert, Hamburg 1962, 205

Und noch einmal Abschied

Zum Saul von Händel passt wirklich gut Francisco Tarregas “Recuerdos de la Alhambra”. Auch hier wird wohl Abschied genommen.

Abschied

Händel hat viele schöne Dinge geschrieben, aber der Trauermarsch aus Saul gehört sicherlich zu den Schönsten. Obwohl er bei vielen offiziellen Beerdigungen verwendet wird. Hier in der Orchestrierung von Stokowski.

Wahrheit und Bestand

Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und nichts wahr, was nicht bestehet.

[…]

Scheue niemand so viel als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du sinnest und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind doch wenn du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir vernehmlicher sprechen.

Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behände dahin fahren, da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schritts.

Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbass.

Matthias Claudius, An meinen Sohn Johannes, 1799