Leid … nebenher
Eine meiner Lieblingskompositionen ist die Sonate K87/L33/P43 in h-moll (Andante mosso) von Domenico Scarlatti (1685-1757). 22 verschiedene Aufnahmen besitze ich davon und ich möchte keine missen. Die kürzeste Version dauert 2 Minuten 48 Sekunde (gespielt von Vladimir Horowitz), kurz sind auch die von Pierre Hantaï (3’27”) und Marcelle Meyer (3’48”; die andere Aufnahme von ihr, 7 Jahre später, 1953, dauert mit 5’32” erheblich länger). Die längste Version nimmt 7’14” (Anne Queffelec) in Anspruch. Ähnlich lang sind auch Christian Zacharias (6’43”) und Tedi Papavrami (6’33”, Transkription für Violine solo). Es gibt viele Einspielungen auch auf dem Netzt. Hier nur eine davon:
Manchmal frage ich mich, was an dem Stück so Besonderes ist, was mich daran bindet und damit verbindet? Vieles und Verschiedenes, natürlich, wie immer. Aber eines vielleicht mehr als alles andere: Die Aporie von Glück und Leid, die darin perfekt zum Ausdruck kommt.
Beginnen wir mit dem Glück, das von der Sonate ausgeht, das sie regelrecht ausstrahlt. Das ist kein hüpfendes, übermütiges Glück, es ist ein ruhiges, bedächtiges, tröstendes Glück, eines das um die dunklen Zeiten weiss, die Schmerzen und das Leid. Dieses Glück aber entsteht nicht vor dem Hintergrund des Unglücks, das überwunden oder gemeistert ist, es ist kein Aufatmen nach bestandener Prüfung, sondern eher eine pflichtbewusste Willensanstrengung. Wie das etwa in den “Zehn Wegen zur Tugend” von Zbigniew Herbert zum Ausdruck kommt, wo es heisst:
7. Try to be happy, for only such people can make others happy.
Dasselbe Glück, das sich ganz ähnlich auch bei Jorge Luis Borges und seinen Fragmenten eines apokryphen Evangeliums findet:
4. Unselig der weint, denn er hat bereits die elende Gewohnheit des Weinens.
5. Selig die wissen, daß das Leiden keine Krone der Glorie ist.
Glück also als Leistung, als Grossmut und bewusst Gewolltes. Aber natürlich ist dann auch das Leid darin enthalten. Kein schreiendes, scharfes, schneidendes Leid, auch kein weinendes (dazu ist es zu gross), eher ein sanftes, resigniertes, weiches, im eigentlichen Sinne trostloses Unglück. Ein Leiden, das der englische Dichter W. H. Auden in seinem Gedicht Musee des Beaux Arts perfekt beschrieben hat:
About suffering they were never wrong,
The old Masters: how well they understood
Its human position: how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer’s horse
Scratches its innocent behind on a tree.
Das Gedicht macht in seiner zweiten Hälfte seinen Bezug explizit, nämlich die “Landschaft mit dem Sturz des Ikarus” von Pieter Bruegel.
Vom ertrinkenden Ikarus nämlich sind nur noch seine Beine zu sehen, und auch das nur peripher, rechts unten. Und genau dies, die notwendige Nebensächlichkeit, die Selbstverständlichkeit des Leids, so scheint mir, ist der funkelnde Kern dieser wunderbaren Sonate.
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