Es ist gar nicht so einfach, etwas zu tun, das nicht in Tätigkeit oder Beruf ausartet. Tätigkeit oder Beruf sind die Klippen des heutigen Geschlechts. Sie machen den Menschen passiv, sie verweben ihn in die große Leinewand der bürgerlichen Gesellschaft, bis er zu vergessen anfängt, daß er der Mittelpunkt der Welt ist.
Statt zu bedenken, daß es nur auf ihn ankommt, erfindet er sich die isolationshemmende, gesellschaftsbildende und religionabtötende Vorstellung, es komme auf den Chef an, den Vorgesetzten oder die Schwiegermutter oder den Minister oder sonst irgendeine außenstehende Persönlichkeit. Das ist grundfalsch. Das verdirbt unsere Zeit. Das entgöttert uns und macht uns zur Kreatur, da wir vordem selber uns schufen, selber uns bildeten. Doch genug!
Unsere ganze Zivilisation ist für den Lebenden gemacht, und über den Lebenden hinaus für die Kommenden. Von der Natur haben die Menschen diese Ungerechtigkeit gegen die Lebenden gelernt, von der Natur, die mit Leichnamen düngt. Aber für Sterbende ist kein Raum unter Menschen. Die Toten haben ihren Platz, wo man sie rasch verscharrt. Aber dem Sterbenden ist keine Funktion gelassen.
Hermann Kesten, Vergebliche Flucht
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