Verbote

Er stand im Nichts. Die Balkongeländer waren noch nicht angebracht. Am Eingang hing zwar ein Zettel: «Balkon betreten streng verboten»; und obwohl Kirch diesen Zettel jeden Tag gelesen hatte, wusste er doch nicht, was auf ihm geschrieben stand, denn ihm schauderte instinktiv vor jedem Verbot. Er nahm nur zur Kenntnis, was ihm behagte. Da ihm die winterliche luftige Frische behagte, trat er einen Schritt vor. Dann noch einen. Und dann stürzte er ab.

Istvan Örkeny,  Schlechter Traum, in: Gedanken im Keller, Berlin: Eulenspiegel, 2. Auflage, 118 f.

Gedanken im Keller

Der Ball war durch das eingeschlagene Fenster in den Kellergang gefallen.

Eines der Kinder, das vierzehnjährige Mädchen des Hausmeisters, hinkte ihm hinterher. Die Strassenbahn hatte der Ärmsten ein Bein abgefahren, so war sie schon glücklich, wenn sie den anderen den Ball bringen konnte.

Im Keller herrschte Halbdunkel, ihr war aber dennoch so, als hätte sich etwas in einer der Ecken bewegt.

»Mietzil« Das Hausmeistertöchterchen mit dem Holzbein blieb stehen. »Wie kommst du denn hierher, Mietzilein?«

Doch dann griff sie nach dem Ball und eilte, so schnell sie nur konnte, mit ihm davon.

Die alte, garstige und stinkige Ratte — von der das Mädchen geglaubt hatte, sie sei die Katze — stutzte. So hatte noch nie jemand zu ihr gesprochen.

Man verabscheute sie nur immer, bewarf sie mit Kohlen oder floh entsetzt vor ihr.

Erst jetzt kam ihr zum Bewusstsein, wie anders alles hätte sein können, wäre sie zufällig als Katze geboren.

Ihre Gedanken gingen sogar noch weiter — denn sie war unersättlich! Wenn sie nun gar die Hausmeisterstochter mit dem Holzbein wäre? Doch das wäre zu schön. Das konnte sie sich nicht einmal mehr vorstellen.

Istvan Örkeny,  Titelgeschichte aus: Gedanken im Keller, Berlin: Eulenspiegel, 2. Auflage, 118 f.

Als Prostituierte brandmarken

Ein Herr Scheuermann schreibt am 13. Juli 2019 im Nachrichtenmagazin Spiegel,

er [Alexander Acosta] war es, der 2007 mit ihm [Jeffrey Epstein] einen Vergleich schloss – bei dem die Opfer überhaupt nie angehört wurden. Sie wurden damit auch indirekt als Prostituierte gebrandmarkt.

Lassen wir einmal die Frage, ob man jemanden alleine dadurch klassifizieren kann, dass man ihn nicht anhört, so bleibt doch die quälende Frage, ob man tatsächlich auch heute, im Jahr 2020, jemanden als Prostituierte «brandmarken» kann. Das Verb «brandmarken» kommt vom Brauch, Tiere mit einer Brandmarke zu versehen, um das Eigentum daran anzuzeigen. Bei Menschen wurde die Brandmarke verwendet, um sie öffentlich blosszustellen (vgl. etwa Nathaniel Hawthorne, The Scarlett Letter, 1850), aus der Gemeinschaft auszustossen, sie zu stigmatisieren. Kann es wirklich sein, dass wir – Europa im Jahr 2020 – jemanden «brandmarken», wenn wir sagen (was ja in casu gar nicht geschehen ist), er prostituiere sich? Nicht ernsthaft, oder?

Ich habe nicht weitergelesen.

Berichterstattung als Vernebelung

Die Schweizer Medien berichten heute, dass die Universität Zürich der 86jährigen Jane Goodall den Ehrendoktor verliehen habe, zum 187. Gründungstag der Universität und zum ersten Mal virtuell bzw. digital.

Und? Wo ist das Problem?

Nun, ganz einfach, dass es so tut, als wäre es eine Nachricht über Jane Goodall. Das stimmt aber nicht. Goodall hat bereits 11 Ehrendoktorate von Universitäten in der ganzen Welt erhalten. Der 12. ist also nichts Besonderes. Und dass die Universität Zürich als 12. Universität einer 86jährigen Person einen Ehrendoktor verleiht, spricht nicht für Mut, Innovationskraft oder Phantasie, sondern für deren Gegenteil. Die einzige Nachricht, die in dieser Nachricht enthalten ist, besteht darin, dass die Uni Zürich offenbar 187 geworden ist. Das aber interessiert natürlich niemanden, ausser der Universität selbst.

Was mit Gleichheit gemeint ist

In der Schweiz müssen Frauen keinen Militärdienst leisten. Das sei zwar diskriminierend, so das Bundesgericht, aber es sei eine von der Verfassung gewollte Diskriminierung. Zum Ausgleich dafür müssen Frauen … in allen Reglementen des Militärs erwähnt werden.