Zeitnah

“Zeitnah” ist eine recht beliebte Neuschöpfung. Auf scheinbar intellektuelle und elegante Weise werden Zeit und Ort verknüpft, indem die Zeit als eine Art Raum konzipiert wird. Was wäre, wenn wir den Raum als eine Art Zeit verstünden? Wie aber könnte wohl das räumliche Pendant zu “zeitnah” lauten? Ortsbald?

Frieden und Freiheit

Das Schiff hatte acht Passagiere an Bord, keine Frau darunter. Infolgedessen herrschte Freiheit und Friede, jeder konnte tun, was er wollte, und besonders, wer gar nichts tun wollte, fand hierzu die herrlichste Dauer-Gelegenheit.

Alfred Polgar, Kleine Schriften, Bd. 2,  Kreislauf, Rowohlt  1983

Wissen ist wenig

Damit ist freilich nicht richtig, dass der im Lebensvollzug verleugnete Tod geleugnet würde. Er ist vorhanden durch das Wissen, dass alle sterben müssen. Aber Wissen ist wenig, man muss es auch glauben können. Niemand kann glauben, dass es mit ihm einen Anfang genommen hat und ein Ende nehmen wird. Das liegt im Wortsinne ‘ausserhalb der Reichweite’ unseres Bewusstseins. Wir waren nicht dabei, als wir anfingen, und wir werden nicht dabei sein, wenn wir enden. Jeder erfährt es nur indirekt: Alle anderen haben einen haben Anfang und Ende, und man hat auch ihm bescheinigt und wird es ihm bescheinigen, dies sei bei ihm nicht anders.

Hans Blumenberg, Ein Instinkt der Uneigentlichkeit?, in: Die Verführbarkeit des Philosophen, Frankfurt 2000

Strafjustiz in England

Der anonyme Barrister will anonym bleiben, damit er als Barrister weiterarbeiten kann. Dieser Wunsch ist alleine schon angesichts eines Jahreseinkommens von ca. 25’000 Pfund eindrücklich. Am Geld – und das gilt auch die Strafverteidiger unseres Landes – kann die Berufswahl nicht liegen.

The attraction to an egotist with an insatiable desire to hold centre stage – a description applicable to the near-entirety of the Bar – is plain; but for me, and most barristers I know, there is a greater, overarching reason for choosing this path: crime is where the stakes are highest.

Der Secret Barrister schreibt einen Blog und ist aktiv auf Twitter (@BarristerSecret). Das Buch, um das es hier geht, erzählt vom englischen Rechtssystem, genauer von der Strafjustiz, seiner Geschichte und seinen gegenwärtigen Problemen,

I’ve lost count of the times I’ve locked eyes with a legal advisor and watched their eyebrows ascend to the heavens as a magistrate reads out a decision wildly ignoring the legal advice patiently explained to them just moments before.s

es erzählt vom Leben der Barrister (wobei es nebenher auch den Unterschied zu den Solicitors erklärt), also einfach gesagt der Prozessanwälte, derjenigen Gruppe von Juristen, die im Strafprozess Anklage und Verteidigung vertreten. Es illustriert seine Darstellung der aktuellen englischen Rechtspraxis an konkreten Fällen, in einem sehr direkten und doch poetischen Ton, der alles andere als politisch korrekt aber stets mitfühlend und menschlich ist.

Rio had been refused bail, both by the magistrates and, upon appeal, by a Crown Court judge, and this, along with a series of other perceived sleights, lay behind his decision to dispense with his previously instructed counsel and direct his solicitor to ‘find me some other cunt’. Alan, with me as his willing lackey, was that cunt.

Darüber hinaus aber bringt es eine verheerende Kritik des gegenwärtigen Zustandes der englischen Justiz vor, die umso mehr erschreckt, als die Parallelen zu unser eigenen Situation überdeutlich sind.

The net result of these reforms should terrify: an enormous influx of serious cases subjected to the second-class treatment of the magistrates’ courts, hammered through the sausage factory of summary justice by our jolly, willing amateurs, and with enormous restrictions on the right to appeal.

Höchst empfehlenswert für jeden, der sich für Justiz interessiert, oder Gesellschaft, oder die Welt, in der wir leben, oder einfach für Recht, und Menschen.

The Secret Barrister: Stories of the Law and how It’s Broken. 376 S. London: Macmillan 2018.

Ein Leben voller Verbrechen

Informativ und unterhaltsam. Englisches Rechtssystem, Barristers und Richter. Berühmte Fälle wie Peter Sutcliffe, der als Yorkshire Ripper bekannte Serienmörder. In jeder Hinsicht eine höchst empfehlenswerte Lektüre.

Harry Ognall, Harry:  A life of crime: Memoirs of a High Court Judge. 149 S., London: William Collins 2017.