Hinkels Rede

Einer meiner absoluten Favoriten, leider heute ein wenig in Vergessenheit geraten. Eine der besten Reden überhaupt. Charlie Chaplin als Diktator Hinkel im “Great Dictator”.


Da flüatn na ta struz.

Update: Hier ein hübscher Artikel im Spiegel vom 21. August 2015

Nationalität ist eine Erfindung

Die nachfolgende Passage aus H. Kestens Erzählung “Oberst Kock” stammt aus dem Jahr 1946, sie bringt aber auf den Punkt, was heute noch genau so gilt:

“Sind Sie nicht Pole” fragte ich.

“Darauf müsste ich Ihnen mit der Geschichte der polnischen Republik antworten. Die Polizei fragte mich: ‘Sind Sie in Polen geboren?’

‘Ich bin älter als die polnische Republik.’

‘Wo sind Sie geboren …’

‘In Odessa …’

‘Also sind Sie Russe?’

‘Meine Mutter war Schweizerin.’

‘Und Ihr Vater?’

‘Unbekannt.’

‘Also sind Sie Schweizer?’

‘Meine Mutter hat einen österreichischen Universitätsprofessor geheiratet, der mich adoptiert hat.’

‘Also sind Sie Österreicher?’

‘Österreich hat der Hitler annektiert.’

‘Also sind Sie Deutscher?’

‘Als Oberst der polnischen Armee?’

‘Dann sind Sie doch Pole?’

‘Ich habe gegen die Zusammensetzung der polnischen Regierung im Exil protestiert, nun empfängt mich mein Konsul nicht mehr. Ich bin nicht in Polen geboren. Wie soll ich im Exil und ohne Papiere beweisen, dass mich mein polnischer Vater adoptiert hat?’

‘Mit was für Papieren kamen Sie ins Land?’

‘Mit einem französischen Ausweis.’

‘Sind Sie Franzose?’

‘Keineswegs.’

‘Also staatenlos.’

‘Ich bin Weltbürger!’ gestand ich.

‘Keine Flausen!’ schrie man. ‘Sie machen sich verdächtig. Haben Sie noch Verwandte in Europa?’

‘Ich weiss es nicht.’

‘Ein ordentlicher Mensch kennt seine Familie! Ihre Mutter lebt noch?’

‘Ich weiss es nicht.’

‘Ihrer Mutter letzter Wohnort?’

‘Sie hatte keinen.’

‘Eine Landstreicherin?’

‘Im Gegenteil. Sie war eingesperrt. In einem Konzentrationslager bei Warschau.’

‘Weshalb?’

‘Sie soll in der Strassenbahn geäussert haben, die Deutschen seien auch Menschen.’

‘Aha. Also deutschfreundlich.’

‘Im Gegenteil. Die Nazis bestraften die Verleumdung.’

‘Wie?’

‘Jawohl.’

‘Ach so. Das heisst? Schrieb Ihnen Ihre Mutter nie?’

‘Nein. Aber der Schweizer Konsul in Ankara gab mir Nachricht von ihr.’

‘In Ankara?’

‘In der Türkei. Er ist ein Vetter meiner Mutter. Sein Schwager ist Major in einem sächsischen Regiment, das in dem französischen Badeort Biarritz steht, an der spanischen Grenze. Der Major hat eine Nicht in Berlin. Die Nichte hat eine Freundin. Die Freundin hat ein Verhältnis mit einem Gestapobeamten, der in Warschau Dienst tut. So hatte ich auf dem denkbar schnellsten Wege Nachricht von meiner Mutter, in knapp vier Monaten, natürlich telegraphisch.’

Verdächtiges gewöhnlichen Leben

Die Entlassung zog sich hin. Die Vernehmungen häuften sich. Ich hatte geglaubt, das gewöhnliche Leben eines modernen Menschen hinter mir zu haben.

Die Polizei bewies mir spielend das Gegenteil. Im Laufe der Untersuchung verlor ich meinen Namen, meine Nationalität, meinen Charakter, meine Ehre, mein Selbstgefühl, meinen Mut und meine Identität.

… Verdienste, auf die ich stolz war, sahen wie Verfehlungen aus. Worauf ich mich stützte, das mache mich verdächtig. So verdächtig wird jedes gewöhnliche Leben, wenn man es prüft.

Hermann Kesten,  Oberst Kock, 1946

Tatsächlich. Darin liegt das eigentliche Problem. Jedes Leben wird verdächtig, wenn es genau geprüft wird. In jedem Leben finden sich Fehler und dunkle Geheimnisse. Genau deshalb sollten Zufallsfunde nicht verwertbar sein in einem Strafprozess. Würde man nämlich unser aller Leben einer genauen Prüfung unterziehen, so sässen wir wohl alle im Gefängnis.

All the truth in the world adds up to one big lie

Mein gegenwärtiger Lieblingssong. Curtis Stigers hat schon 1990 gute Songs gesungen, aber das hier, sein Cover des Dylon-Songs, kann man auf Repeat stellen. Und wie immer bei Dylan, der Text, der Text!

A worried man with a worried mind
No one in front of me and nothing behind
There’s a woman on my lap and she’s drinking champagne
Got white skin, got assassin’s eyes
I’m looking up into the sapphire-tinted skies
I’m well dressed, waiting on the last train
Standing on the gallows with my head in a noose
Any minute now I’m expecting all hell to break loose
People are crazy and times are strange
I’m locked in tight, I’m out of range
I used to care, but things have changed
This place ain’t doing me any good
I’m in the wrong town, I should be in Hollywood
Just for a second there I thought I saw something move
Gonna take dancing lessons, do the jitterbug rag
Ain’t no shortcuts, gonna dress in drag
Only a fool in here would think he’s got anything to prove
Lot of water under the bridge, lot of other stuff too
Don’t get up gentlemen, I’m only passing through
People are crazy and times are strange
I’m locked in tight, I’m out of range

If the Bible is right, the world will explode
I’ve been trying to get as far away from myself as I can
Some things are too hot to touch
The human mind can only stand so much
You can’t win with a losing hand
Feel like falling in love with the first woman I meet
Putting her in a wheelbarrow and wheeling her down the street
People are crazy and times are strange
I’m locked in tight, I’m out of range
I used to care, but things have changed
I hurt easy, I just don’t show it
You can hurt someone and not even know it
The next sixty seconds could be like an eternity
Gonna get low down, gonna fly high
All the truth in the world adds up to one big lie
I’m in love with a woman who don’t even appeal to me
Mr. Jinx and Miss Lucy, they jumped in the lake
I’m not that eager to make a mistake
People are crazy and times are strange
I’m locked in tight, I’m out of range
I used to care, but things have changed.

 

A tale told by an idiot

Aldous Huxley, William Faulkner, Kurt Vonnegut, alle referieren sie auf:

Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury
Signifying nothing.

Shakespeare, Macbeth (Act 5, Scene 5, lines 17-28)

Das ist, was uns zu schaffen macht. Die essentielle Beliebigkeit (ich sage nicht Belanglosigkeit, denn von Belang ist es, zumindest für uns, ja allemal), Kontingenz ist, was wir nicht ertragen. Nicht, dass wir gequält werden (oder quälen), sondern dass es genau so gut unterbleiben könnte, dass genau so gut jemand anderer Folterer oder Gefolterter sein könnte. Nicht, dass das Böse existiert (obwohl das ja philosophisch eine wirkliche Herausforderung darstellt), sondern dass es genau so gut nicht existieren könnte.

Und natürlich gilt das ebenso für das Gute. Nur dass es uns hier nicht erschreckt, sondern beschämt.