Wahrheit und Gewalt

Nicht nur die Liebe, auch die Wahrheit ist ein mörderisches Ding, so sich die beiden denn überhaupt unterscheiden lassen. Cioran (1911-1995) sagt irgendwann einmal (ich mag das nicht heraussuchen):

Die Erkenntnis der Wahrheit gibt einem das Aussehen eines Mörders.

Tatsächlich. Das liegt wohl daran, dass uns die Erkenntnis der Wahrheit immer zeigt, dass wir nichts zu verlieren haben, da wir doch schon alles verloren haben. Niemand kann uns mehr beschützen, niemand trösten. Dafür ist es längst zu spät. (Das ist wohl der Grund, dass Rainer Mailkowski (1939-2003), einer meiner liebsten Lyriker, sagen kann: “Es gibt nichts zu beschützen”). Es bleibt nur das Vergessen, vielleicht das Schwierigste. Denn uns quält eine diffuse Erinnerung an das Paradies, die (wohl zu unserem Glück, aber da bin ich mir nicht sicher) immer schwächer wird und sich in der Zeit verliert (wie wir selbst) bis sie schliesslich erlöscht (wie wir selbst).

Die Welt heisst Rosebud.

Die Welt in Grün

Und noch was sehr, sehr Hübsches. Tom Waits und “All the World is Green

I fell into the ocean
When you became my wife
I risked it all aganist the sea
To have a better life
Marie you’re the wild blue sky
And men do foolish things
You turn kings into beggars
And beggars into kings

Hier der Song in einer eindrücklichen Verfilmung. Und hier der Text mit Erläuterungen. Hättest Du gedacht, dass hier Georg Büchners (1813-1837) Drama Woyzeck vertont wird, eines der ganz grossen Theaterstücke der Weltliteratur, in dem Woyzeck erst seine Geliebte Marie tötet und hernach sich selbst. Warum wohl, ach, mein Herz?

Ja, die Liebe, die Liebe ist ein höchst gefährliches, ein seltsam mörderisches Tier. Nimm Dich bloss in Acht.

Verletzungen

Ist es nicht seltsam, dass gerade die Verletzlichsten (und vielleicht auch die Verletztesten) sich die grösste Mühe geben, nicht verletzlich, nicht verletzt zu erscheinen und ihre Verletzungen bestmöglich zu verbergen suchen, ganz so, als vermöchte deren Leugnung sie tatsächlich zu schützen.

Aber vielleicht tut es das ja. Indem es verhindert, dass zum bereits bestehenden Leid noch das Bewusstsein (oder noch schlimmer: die Kommunikation darüber) hinzukommen. Denn – nochmalsder Weg der Wahrheit ist ein Weg der Stille, wo zärtliches Gespräch nur ein Hinterhalt von Räubern ist und selbst gute Musik schockierend fehl am Platz; und Du, natürlich, hast mir das nie gesagt. (W. H. Auden) Dass damit die Wunden zu eitern und modern beginnen und nicht heilen können, ist kleine Münze im Verhältnis zur Angst vor weiteren Verletzungen.

Traurigkeit

Ich hatte Dir bereits von den “Zwei Herren am Strand” und ihren Problemen mit der Traurigkeit erzählt (ich lese das so langsam als möglich, damit es dauere). Eine ganz wunderbare Passage ist darin:

Sydney war sehr erleichtert. Die Funken im Auge seines Bruders gaben beruhigende Auskunft. Er hatte keinen Zweifel, Charlie hatte die Krise überwunden.

Am zweiten Feiertag fuhren sie nach Beverly Hills zurück. Singend. Erst dreistimmig, und nachdem sie die Serpentinen hinter sich gelassen hatten, vierstimmig. Der Chauffeur, so stellte sich heraus, war ein mehr als passabler Tenor. Er solle sich in den nächsten Tagen im Studio melden, sagte Charlie, als sie am Summit Drive ankamen; nur
ein guter Sänger könne auch stumm singen. Syd half ihm, die Koffer hinaufzutragen. Ob er es allein im Haus aushalte, fragte er, ob er sicher sei, ganz sicher. Aber ja, lachte Charlie.

In der Nacht aber meldete sich der schwarze Hund zurück. Nicht Hohn und Häme bellte er. Er bellte gar nicht. Er stellte sich vor ihn hin und starrte auf ihn nieder.

Kann man es besser beschreiben? Auch bei wiederholter Lektüre bereitet es mir grosse Mühe, beim letzten Abschnitt nicht zu weinen. Meist erfolglos übrigens. Die Mühe. Und das Weinen auch.

Decline to walk the line

Und noch ein absoluter Favorit, Steely Dan, eine Jazz-Rock-Band, total hip bei Intellektuellen in den 70ern, “Fire in the Hole“, ein Song vom Album “Can’t buy a thrill“, 1972 veröffentlicht. Hier der Text:

I decline
To walk the line
They tell me that I’m lazy
Worldly wise
I realize
That everybody’s crazy
A woman’s voice reminds me
To serve and not to speak
Am I myself or just another freak

Don’t you know
There’s fire in the hole
And nothing left to burn
I’d like to run out now
There’s nowhere left to turn

With a cough
I shake it off
And work around my yellow stripe
Should I hide
And eat my pride
Or wait until it’s good and ripe
My life is boiling over
It’s happened once before
I wish someone would open up the door

Don’t you know
There’s fire in the hole
And nothing left to burn
I’d like to run out now
There’s nowhere left to turn

Interpretationshilfen hier. Der Song selbst hier, eines der besten Piano-Solos überhaupt je aufgenommen.