Antworten, angemessen und unangemessen

Ist es nicht verstörend, dass es – wenn man genau hinschaut – gar keine Antworten im eigentlichen Sinn gibt. Ausser vielleicht auf die wenigen Fragen, die sich mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten lassen. Und auch hier nicht wirklich.

ES denkt …

Cogito ergo sum, hatte Descartes (1596-1650) formuliert. Das ist etwas ungenau, weil es sich auf die Frage des Denkens konzentriert und diejenige der Identität ausblendet. Schaut man genau hin, so müsste man eigentlich sagen: Es denkt etwas, also ist etwas. Die Identität desjenigen, das denkt, ist nämlich gar nicht klar.

Denken wird zwar häufig als eine Art Instrument konzipiert, zur Problemlösung oder Analyse oder anderen Zwecken, doch scheint mir das grundfalsch. Nichts könnte den Charakter des Denkens stärker verkennen als eine Konzeption, die das Denken auf Ziele und Zwecke hin orientiert. Denken nämlich ist in seiner Struktur dem Sex eng verwandt. Es gibt kein Ziel, keinen Zweck, keinen richtigen Weg, keine Anleitung. Beide verlangen von Dir Hingabe, Abenteuerlust und den Mut, Dich selbst nicht nur zu öffnen, sondern auch zu zeigen. Beide sind Wagnisse, denn Du weisst nicht, wo Du hinkommst. Und Du kannst nicht zurück. Beängstigend. Hinreissend.

Wer das Denken zulässt, hat auch überhaupt keine Kontrolle darüber. Nicht wann, wo, wie, wie lange oder wohin. Du kannst nur die Türe aufmachen oder schliessen. Wenn man sich in der Welt umschaut,  könnte man auf die Idee verfallen, dass wir diese Türe ganz vorsichtig auch nur einen kleinen Spalt weit öffnen können, um so das Risiko, unser Ausgesetzt-Sein zu beschränken. Aber das ist natürlich Humbug. Was da nach Denken aussieht, ist blosses Getue, reines Theater. Es hat mit Denken so wenig zu tun, wie Eisenbahnfahren mit Schwimmen. Wer in der Bahn fährt, bewegt sich entlang bestimmter, genau definierter Linien. Er hat eine Richtung und nur an gewissen Punkten überhaupt die Möglichkeit, sie zu ändern. Wer schwimmt, bestimmt (zumindest konkludent) jede einzelne Sekunde diese Richtung  neu, ist gänzlich ohne Halt und Vorgaben, und zudem jederzeit in Gefahr zu ertrinken.

Denken ist ein eigentlich vegetativer Vorgang. So wie unser Herz schlägt oder unser Magen verdaut, so denkt es ständig in uns. Meist bemerken wir es nicht einmal, nur manchmal nehmen wir es wahr. Unter Kontrolle aber haben wir es nicht. Denken ist wie Schwimmen im offenen Meer. Denken ist ein Orkan, ein Tsunami. Kein Wunder, versuchen die meisten Menschen, das zu vermeiden (oder ihm zu entkommen, wenn sie unglücklicherweise damit in Berührung kommen). Sie sind darin beeindruckend erfolgreich.

Nochmals Japan

Eben gehört: Halong ist Japans 11. Taifun in der diesjährigen Taifunsaison. Hast Du gewusst, dass es eine Taifunsaison gibt? Und: Hast Du schon Pläne für die nächste Taifunsaison?

Sehnsucht und Liebe, nochmals …

Kann man sich sehnen, wenn man seiner Bürgerlichkeit entkommen und in die Liebe gefallen ist, hatten wir gefragt, und ich hatte mein Unwissen eingestanden. Ich habe dem nachzuspüren versucht und würde nun die Frage klar bejahen. Ich will ein Beispiel geben:

Kennst Du die Streicherserenade C-Dur op. 48 von Pjotr Tschaikowski? Ihr erster Satz (Pezzo in forma di sonatina), besonders der Beginn und die ersten zwei Minuten sind so sehnsuchtsschwer, so unerfüllt, dass ich sie kaum hören kann, ohne zu weinen. (Vielleicht wäre es nicht uninteressant, die verschiedenen emotionalen Tönungen der Traurigkeit anhand konkreter Musikstücke zu diskutieren.) Wenn ich versuche, das zu lokalisieren, an etwas Konkretem festzumachen, dann führt es mich immer in meine Kindheit. Und vielleicht ist es dies, Sehnsucht nach einem zärtlicheren, beschützteren Leben. Auch die Liebe nämlich, diese Alleskönnerin, vermag nicht die Wunden zu heilen, die uns geschlagen wurden, denn das bewusste Leben ist ja immer beschädigt, vielleicht ist gar Bewusstsein selbst eine Beschädigung. Und so gehören denn unsere Wunden nicht nur unabdingbar zu uns, wir sind diese Wunden. (Dies vielleicht auch der Grund, dass ich den Geretteten so sehr misstraue.) Auch wenn die Liebe notwendig neues Leid bedeutet, so kann sie uns doch trösten. Trösten, indem sie uns vergessen macht. Vergessen, wer wir sind. Die Liebe erlöst uns von uns selbst. Und unseren Erinnerungen – und damit auch von unseren Beschädigungen.

Der 1. Satz der Serenade mit dem Philadelphia Orchestra und Ormandy hier; die vollständige Serenade mit der Bayerischen Kammerphilharmonie und Greenberg hier.

Ohrenbetäubendes Schweigen

A: “Wie geht es Dir?”

B: “Schlecht. Wirklich schlecht. Und Dir?”

A: “Auch nicht gut. Weisst Du, die Katze Deiner Schwester ist im Tierspital und muss möglicherweise eingeschläfert werden. Und natürlich nimmt sie es schwer.”

… es folgt ein zehnminütiger Bericht über das Leiden der Tiere und ihrer Halter …

A: “Wieso geht es Dir denn schlecht?”

B: “Ich weiss nicht, ich glaube, ich bin in eine schwere Depression gefallen.”

A: “Aber wieso nimmst Du denn nicht Tabletten. Seit ich Tabletten nehme, geht es mir wieder viel besser.”

… es folgt ein zehnminütiger Bericht über die ausgezeichnete Wirkung bestimmter Psychopharmaka, die Leiden der Geschwister und anderer Verwandten …

A: “Und sonst? Wie geht’s?”

B: “Was wie sonst? Ich hab doch gesagt, dass es mir sehr schlecht geht.”

A: “Ja, aber sonst, wie geht es sonst?”

B: “Du meinst, wie es mir geht, abgesehen davon, dass es mir sehr schlecht geht?”

A: “Ja.”

B: “Abgesehen davon, dass es mir sehr schlecht geht, geht es mir phantastisch. Danke.”

Wortwörtlich so erlebt. Heute Abend. Ehrenwort. Keine Silbe dazu erfunden. Muss ich mehr sagen über den Horror der Kindheit?