Aufklärung, Atheismus und Rousseaus Freiheitsfeindlichkeit

Und wenn wir schon dabei sind: Wer sich für die Herkunft unserer Gesellschaft interessiert, findet mehr als genügend Anschauungsstoff in Philipp Bloms Buch “Böse Philosophen”. Es handelt vom Salon des Barons von Holbach im 18. Jahrhundert in Paris und es treten auf: Holbachs Freund Denis Diderot, David Hume, Voltaire, Cesare Beccaria und viele mehr, und natürlich der unvermeidliche Jean-Jacques Rousseau. Für alle, die Rousseau lieben, wohl das falsche Buch, belegt es doch detailreich, warum sich seit Robespierre alle totalitär Orientierten, alle Diktatoren mit Freude auf den Schweizer bezogen haben. Wie gross das Unglück ist, dass sich Rousseau als Held durchgesetzt hat, wird überdeutlich spürbar in diesem wunderbaren Buch.

Philipp Blom: Böse Philosophen: Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München: Carl Hanser Verlag 2011. 

Staaten und ihre Gründung

Wer sich für die Frage interessiert, was denn einen Staat ausmacht, erhält zwar keine theoretische Antwort, aber ein gutes Anschauungsbeispiel und einen faszinierenden Einblick in die Geschichte der “Baierischen Räterepublik”, November 1918 bis April 1919, im Buch von Volker Weidermann über den Versuch, der Dichter und Träumer in der Welt zu sein. Vielleicht weckt es ja sogar die Lust, Ernst Toller, Oskar Maria Graf, Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke oder Thomas Mann wiederzulesen:

Volker Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 2017.

 

Verdorben

“Once I tried to have a lover but I was so sick at the heart, so utterly worn out that I had to send him away.” That struck me as the most amazing thing I had ever heard. She said “I was actually in a man’s arms. Such a nice chap! Such a dear fellow! And I was saying to myself, fiercely, hissing it between my teeth, as they say in novels—and really clenching them together: I was saying to myself: ‘Now, I’m in for it and I’ll really have a good time for once in my life—for once in my life!’ It was in the dark, in a carriage, coming back from a hunt ball. Eleven miles we had to drive! And then suddenly the bitterness of the endless poverty, of the endless acting–it fell on me like a blight, it spoilt everything. Yes, I had to realize that I had been spoilt for the good time when it came.

Ford Madox Ford, The Good Soldier, London 1915

Was bleibt…

Ich dachte, ein neues Leben wäre leichter, aber es wurde nie leichter. Es ist ganz gleich, ob wir Apotheker oder Tischler oder Schriftsteller sind. Die Regeln sind immer ein wenig anders, aber die Fremdheit bleibt und die Einsamkeit und alles andere auch.

F. v. Schirach. Strafe

… wie Frauen eben sterben im Krieg

Die Söldner waren hungriger als üblich, und sie hatten noch mehr getrunken. Lange schon hatten sie keine Stadt betreten, die ihnen so viel bot. Die alte Luise, die tief geschlafen und diesmal keine Vorahnung gehabt hatte, starb in ihrem Bett. Der Pfarrer starb, als er sich schützend vors Kirchenportal stellte. Lise Schoch starb, als sie versuchte, Goldmünzen zu verstecken, der Bäcker und der Schmied und der alte Lembke und Moritz Blatt und die meisten anderen Männer starben, als sie versuchten, ihre Frauen zu schützen, und die Frauen starben, wie Frauen eben sterben im Krieg.

Daniel Kehlmann: Tyll, Rowohlt 2017, 27 f.

In memoriam Dr. K. H. G.

“Hölderlin ist Ihnen unbekannt?”, fragte Dr. K. H. G., während er die Grube für den Pferdekadaver aushob.
“Wer war das?”, fragte der deutsche Wächter.
“Der den Hyperion geschrieben hat. Die grösste Gestalt der deutschen Romantik”, erklärte Dr. K. H. G. Er liebte es sehr, zu erklären. “Und zum Beispiel Heine?”
“Was sind das für welche?”, fragte der Wächter.
“Dichter”, sagte Dr. K. H. G.. “Aber Schillers Namen werden Sie wohl kennen?”
“Doch, den kenne ich”, sagte der deutsche Wächter.
“Und Rilke?”
“Den auch”, sagte der deutsche Wächter und wurde puterrot und erschoss Dr. K. H. G.

aus: István Örkény: Minutennovellen, BS 1358, Frankfurt/M 2002, 38