Robert & Clara Schumann

Zweitausendeins schickt mir heute ein Gedicht von Charles Bukowski (1920-1994), das so wunderbar zu dem passt, was wir hier diskutieren, dass ich es wiedergeben muss. Es handelt von Robert Schumann (1810-1856) und seiner Frau Clara (1819-1896). Politisch-emanzipiert-korrekt wird heute manchmal vorgebracht, Clara sei das grössere Genie gewesen, sie habe ihre Karriere als Pianistin ihrem Mann geopfert und gar, eigentlich habe sie viele der Werke Roberts komponiert. Wenn Du Dir die Lebensdaten dar beiden anschaust, wirst Du wissen, was daran wahr ist. Bukowski aber bringt es auf den Punkt:

1810-1856

Eines Tages stürzte sich Robert
Schumann in den Rhein und sie
steckten ihn in eine Irren-
anstalt. Lebenslänglich.

Seine Frau Clara hielt trotzig
seine Kompositionen unter Verputz
Und verhinderte, daß sie auf-
geführt wurden.

Man könnte meinen, daß sie seine
größte Beschützerin und beste
Kritikerin war. Ich schätze
man könnte alles mögliche
meinen, aber ich bin froh
dass ich heute abend etwas
von Robert höre und nicht
von Clara.

Was wäre mehr zu sagen. Ehrlich und unangenehm wie immer. Wenn Du Bukowski nicht kennst, lies ihn! Seine Kurzgeschichten, z.B. Fuck Machine, oder seine Romane, z.B. den Mann mit der Ledertasche, oder anderes. Kaum je wurde so gut über Sex geschrieben, kaum je wurde Sex so gut geschrieben.

Eine alte Geschichte …

Gibt es Fürchterlicheres, Schöneres als Heinrich Heine (1797-1856)? Kaum je hat einer so böse über sein eigenes Weh gespottet. Was für eine Sprache! Karl Kraus (1874-1936) hat zwar bissig bemerkt:

Heine war ein Moses, der mit dem Stab auf den Felsen der deutschen Sprache schlug. Aber Geschwindigkeit ist keine Hexerei, das Wasser floß nicht aus dem Felsen, sondern er hatte es mit der anderen Hand herangebracht; und es war Eau de Cologne. Heine hat aus dem Wunder der sprachlichen Schöpfung einen Zauber gemacht. Er hat das höchste geschaffen, was mit der Sprache zu schaffen ist; höher steht, was aus der Sprache geschaffen wird.

K. Kraus: Heine und die Folgen. Im Volltext hier.

Aber Kraus zum Trotze mag uns das nur als Ansporn dienen. Es soll uns recht sein und billig, aus dem Wunder der Sprache einen Zauber zu machen. Ein Beispiel nur:

Ein Jüngling liebt ein Mädchen

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.

aus: H. Heine: Buch der Lieder, Berlin 1823.

Abstraktion als Feigheit

Ich lese so langsam als möglich, doch das wunderbare Buch geht unausweichlich zu Ende. Nicht aber, ohne uns in unserer Skepsis der Abstraktion gegenüber zu unterstützen. Spricht Winston Churchill:

“Mister Knott, es gehört eine ordentliche Portion Tapferkeit dazu, ein getreu gegenständliches Bild zu malen! Abstraktion ist nur Feigheit, ist ein Kniefall vor der Vergänglichkeit, ist ein Anerkennen der Sinnlosigkeit des ewigen Ablaufs von Ursache und Wirkung. Wir dürfen nicht gemeinsame Sache mit dem Geistlosen machen! Geist haben nur wir. Es gibt sonst niemanden im Universum, der sich das Unvorstellbare vorstellen kann. – Genug geredet, Mister Knott, genug gesehen, genug gehört! Packen wir zusammen! Gehen wir!”

M. Köhlmeier, Zwei Herren am Strand, 242

Es regnet …

Kennst Du Jaroslav Seifert (1901-1986), den tschechischen Lyriker, der 1984 immerhin den Nobelpreis erhalten hat? Von Seifert gibt es ein wunderbares Gedicht, Der Regenschirm vom Piccadilly. Das Gedicht ist nicht lang (3 kleine Seiten), aber zu lang, als dass ich es hier im Volltext anführen könnte. Immerhin sei der Anfang wiedergegeben:

Wer mit der Liebe nicht ein noch aus weiß,
verliebe sich
Meinetwegen in die englische Königin.
Warum nicht!
Ihr Gesicht ist auf jeder Briefmarke
des altehrwürdigen Königreichs.
Sollte er sie jedoch
um ein Stelldichein im Hyde Park bitten,
kann er Gift darauf nehmen,
dass er vergeblich warten wird.

Wenn er aber nur ein bisschen vernünftig ist,
wird er sich klug zureden:
Ach ja, ich weiß schon,
Es regnet doch im Hyde Park heute.

aus: Jaroslav Seifert:
Im Spiegel hat er das Dunkel, Gedichte, Waldbrunn 1982

Ist das nicht schön? Und tröstlich! Gerade an einem Tag wie diesem. Die Königin wird wohl auch nicht kommen, wenn es derart neblig ist. Das kann man ja wirklich verstehen.

Fragt mich nur nicht wie

Ein ganz wunderbares Stück von einem, der das Leben und die Frauen liebte und doch an ihnen verzweifelte, dem vielleicht grössten Lyriker neuerer Zeit, Heinrich Heine (1797-1856).

Anfangs wollt’ ich fast verzagen
Und ich glaubt’, ich trüg es nie,
Und ich hab es doch getragen,
Aber frag mich nur nicht: wie?

Buch der Lieder (erstmals 1827), VIII

Worte machen die Welt kleiner (oder auch nicht)

Nochmals Zwei Herren am Strand:

Der Herr drückte dem Diener die Hände und kehrte die Augäpfel nach oben und betete laut: “Lass meinen Freund leben, bitte, bitte, lass meinen Freund leben!” Als der Diener aus tiefem, langem Schlaf erwachte und über den Berg war, sass der Herr immer noch an seinem Bett, und nun hielt er die Hände seines Herrn fest und sagt, das Wort – “Freund” – sei es gewesen, das ihm die Kraft gegeben habe zu überleben. Später formten sie gemeinsam aus diesem Augenblick eine Szene. Für einen Sprechfilm. Manche Wort machen die Schöpfung nicht kleiner.

Ist das nicht unglaublich präzise und wahr? Manche Worte machen die Schöpfung nicht kleiner. Nur manche, die meisten aber tun es. Denn der Weg der Wahrheit ist ein Weg des Schweigens.