Von einem Bagger, der merkwürdige Eingeweide eines Landes freilegte, obwohl er nicht in der Erde grub sondern am Himmel kratzte

In der letzten Woche wurde die Schweiz von einem Ereignis bewegt, das eigentlich relativ schnell erzählt ist: Auf einer wichtigen, in ihrer Wichtigkeit durch die Kombination eines Buchstabens, der ganz früh im Alphabet kommt mit einer sehr niedrigen Zahl hervorgehobenen Autobahn kollidierte ein auf einem Tieflader mitgeführter Bagger, den man offenbar noch etwas besser hätte zusammenfalten können mit einer Autobahnbrücke. Dies in einer Gegend, die von den meisten offenbar nur als unwirtliche Ödnis wahrgenommen wird, die man durchquert, wenn man von einer grossen Stadt in eine andere grosse Stadt kommen möchte, was offenbar die meisten Bewohner des Landes mittlerweile mehrmals täglich tun. Die Autobahn musste für einige Stunden gesperrt werden, weil man befürchtete, dass der Bagger vielleicht etwas zu viel von der Brücke mitgenommen haben könnte und diese in der Folge einstürzen könnte, worauf sie in der Folge nach Anbringung einer Stützkonstruktion aus Stahl aber verzichtete. Bis dahin stundenlange Staus, arglose Verkehrsteilnehmer verstopften während Stunden die Strassen in Ortschaften, von deren Existenz sie allenfalls in schweissgetränkten Fieberträumen geahnt hatten, wenn überhaupt. Noch immer ist unklar, ob noch Automobilisten in den unwegsamen Waldgebieten um Fislisbach herumirren und sich nun mit Schneestürmen, Wölfen und Bären herumschlagen müssen.

Und was hat der Bagger nun freigelegt, ausser der mürben Tragkonstruktion einer Brücke? Für einmal geht es nicht um Verkehrspolitik.

Zunächst einmal wird der unglückliche Chauffeur, der eigentlich doch schon genug Kummer hat mit seinem ungenügend zusammengelegten Huckepackbagger von der ehemals „stärksten Zeitung der Schweiz“ (und wohl immer noch der Marktführerin für Nichtgratisschund) kontinuierlich als „Bagger-Depp“ bezeichnet.

Bagger-Depp kracht in Brücke

Fuhrunternehmer und SVP-Nationalrat Giezendanner sagt:

Es war das grosse Thema in der Znüni-Pause, auch dank Blick. Keiner will ein ‚Bagger-Depp’ sein.

Strafbar ist die wenig empathische Bezeichnung wohl nicht, da die Qualifikation beruflicher Leistungen als ungenügend zwar die soziale Geltung einer Person beeinträchtigt, nicht jedoch seine „sittliche“ Ehre, wonach dem Grundsatze nach niemand als böser, im sittlichen Bereich bemakelter Mensch bezeichnet werden sollte. Der Haken an einem Zivilverfahren wäre, dass da wenig zu holen ist und man sich wohl zweimal überlegen wird, ob man in einem wagemutigen Blatt lesen möchte:

Bagger-Depp verklagt Blick

Umso widerlicher die Betitelung eines Menschen, der möglicherweise einen Fehler begangen hat durch Infotainer, die für eine Pointe ihre Grossmutter auch in mundgerechten Stücken verkaufen würden.

Der Unfall wurde von einem nachfolgenden Autofahrer mit einer sog. „Dashcam“, einer auf dem Armaturenbrett installierten Digitalkamera gefilmt und natürlich sofort leserreportermässig irgendwelchen Medien übermittelt und sodann veröffentlicht. Daran habe – so 20 Minuten – der EDÖB nun keine Freude:

 “Solche Dashcams können das Datenschutzgesetz verletzen», sagte die Mediensprecherin seines Büros, Eliane Schmid, auf Anfrage. «Die Betroffenen wissen nicht, dass sie gefilmt werden und können sich so auch nicht dagegen wehren» «So können Videos mit erkennbaren Autonummern und Gesichtern im Internet landen, ohne dass die Betroffenen überhaupt davon Kenntnis haben.» Ein rechtmässiger Einsatz von Dashcams könnte nur schwer gerechtfertigt werden.

Völlig unabhängig davon, ob der Einsatz solcher Kameras sinnvoll ist und ob mit so verfertigten Aufnahmen in einem Verfahren Staat zu machen wäre und schliesslich auch abgesehen davon, dass ein rechtmässiger Einsatz keiner Rechtfertigung mehr bedürfte: Ist es nicht einigermassen albern und unrealistisch, in einer bilderhungrigen Gesellschaft wie der unseren irgendwelche Filmchen Privater zu brandmarken, weil darauf irgendwelche Gesichter oder Autonummern erkennbar sein könnten? Mit dieser Argumentation ist wohl fast jeder Urlaubsschnappschuss eine Bedrohung für den Datenschutz, denn ganz oft sind auf diesen Photos irgendwelche Leute. Sind das jetzt alles Datensammlungen? Das Datenschutzrecht outet sich so einmal mehr als selbstvergessenes Kunstprodukt, das nicht nur weitestgehend ineffizient ist, sondern nur sehr lose mit den Bedürfnissen der Bürger verknüpft ist, was aber kunstvoll hinter hohlen Phrasen und komplizierten Prozeduren versteckt wird.

Wir lernen also: Einen Menschen in die Pfanne hauen und in aller Öffentlichkeit als Bagger-Deppen bezeichnen, ist ok. Filmchen machen, wo Leute drauf sein könnten, geht aber gar nicht.

O Sicherheit, O Fürsorge

Spanien verbietet die sog. E-Zigaretten wie die Medien berichten (hier etwa die NZZ), d.h. elektrische Zigaretten, die Nikotin enthalten und die beim Ausatmen Wasserdampf produzieren. Das Lustige daran ist, dass anders als bei “richtigen” Zigaretten, hier das Argument der Schädigung anderer durch deren Passivrauchen überhaupt nicht sticht. Entsprechend wird denn auch nicht so argumentiert, sondern über die Raucher selbst, die man schützen müsse:

Minderjährige dürfen E-Zigaretten, die flüssiges Nikotin enthalten und beim Inhalieren in Dampf verwandeln, schon seit längerem nicht nutzen. […] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor E-Zigaretten, da ihre Folgen für die Gesundheit unzureichend erforscht seien. (so News.ch)

Und weil die WHO ihre Unbedenklichkeit nicht bestätigt hat, gelten sie als gesundheitsschädlich und dürfen nicht verwendet werden. Jetzt versteht man. Wahrscheinlich hat dann ja eine entsprechende Unbedenklichkeitsprüfung für Junk-Food-Ketten wie etwa MacDonald’s schon längst stattgefunden, richtig?

Oder noch etwas grundsätzlicher: Würde man sich eine solche Unbedenklichkeitsprüfung nicht auch für die Liebe wünschen. Solange sie nicht vorliegt, darf nicht geliebt werden. Und auch hier wäre doch Jugendschutz angezeigt, denn sind es nicht unsere frühesten Liebesbeziehungen, die uns am intensivsten gefährden (denn später lernen wir ja leider, Rüstungen anzuziehen)?

Gnade

Was für ein Weihnachtsfest! Die Königin von England vergibt Alan Turing doch noch sein Verbrechen – schwul gewesen zu sein.

Turing

Siehe 20Min

… noch Ende 2011 blockte das Justizministerium in London einen Vorstoß ab, Turings Verurteilung postum aufzuheben. Die Begründung: Er hätte schließlich gewusst, dass sein Tun zur damaligen Zeit strafbar gewesen sei.

So der Spiegel. Klar: Selber schuld! Aber immerhin: Wenn schon keine Gerechtigkeit, dann wenigstens Gnade. Wie schön. Der Spiegel weiter:

Die jetzige Entscheidung der Queen war laut Grayling erst die vierte Begnadigung durch einen Monarchen in Großbritannien seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Aha. Waren das auch Schwule, fragt man sich? Und hatte Grossbritannien in dieser ganzen Zeit nur 4 Schwule? Und wenn nicht, wer verzeiht dann den anderen und begnadigt sie? Und wie lange wird das bei denen dauern, die keine für das Königreich unersetzlichen Genies waren, sondern nur einfach schwul?

Wir hatten hier die Gnade und ihr Zugehören zu Gott bereits erwähnt. Nicht überflüssig deshalb vielleicht ein Passage aus der Bibel (Hebräer, 12/6 ff.):

6 Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er geißelt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. Wenn ihr Züchtigung erduldet, so behandelt euch Gott ja als Söhne; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? Seid ihr aber ohne Züchtigung, derer sie alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr ja unecht und keine Söhne!

Wieviel Trost doch Schwule (aber auch andere ungerecht Behandelte) in der Religion finden könnten, wenn sie nur wollten.