Aussergewöhnliche Frauen

Wollte man eine Vortragsreihe beginnen mit beeindruckenden Frauen, so würde Elisabeth Báthory (1560-1614) sicherlich dazugehören. Ist schon aussergewöhnlich, Frauen zu foltern und zu töten, aber fast 650 davon …

Wie ist das Aussergewöhnliche?

Nach dem Tod eines Bewohners eines Pflegeheims kommt der Verdacht auf, das Ableben könnte auf die fehlerhafte Verabreichung von Medikamenten zurückzuführen sein, die Sache wird untersucht. Als “aussergewöhnlicher Todesfall”.

Die Berner Zeitung geht der Sache nach, befragt einen Staatsanwalt und eine sonstige Beamte und kommt zum titelwürdigen Ergebnis:

Aussergewöhnliche Todesfälle sind selten

Wer kommt denn auch auf so etwas.

Wobei: Ganz so banal ist die Erkenntnis nicht, ist doch eigentlich bereits die Gleichsetzung von Gewöhnlichkeit mit Häufigkeit eine sprachliche und kulturelle Leistung. Selbst wenn in eine Gesellschaft Tötungsdelikte sehr häufig wären, wären sie doch – so nehmen wir einmal an – aussergewöhnliche Todesfälle, weil der Tod nicht eindeutig auf eine natürliche Einstellung des Betriebs des menschlichen Körpers ohne spezifische äussere Einwirkungen zurückzuführen wäre. So besehen weist die prima facie erheiternde Schlagzeile doch darauf hin, dass zwischen den (faktischen) Befund der Häufigkeit des Auftretens eines Phänomens und dessen (normativer) Bewertung als gewöhnlich oder ungewöhnlich keine Schlüsse gezogen werden können.

Circulus …

schar

Diese Verpackung lässt sich mühelos mit jeder haushaltsüblichen Schere öffnen!

Sonst ist es allerdings etwas schwieriger. Aber wie sagt der Volksmund doch so schön: “Wer hat, dem wird gegeben.” (vgl. bereits Mt 25, 29).

Von einem Bagger, der merkwürdige Eingeweide eines Landes freilegte, obwohl er nicht in der Erde grub sondern am Himmel kratzte

In der letzten Woche wurde die Schweiz von einem Ereignis bewegt, das eigentlich relativ schnell erzählt ist: Auf einer wichtigen, in ihrer Wichtigkeit durch die Kombination eines Buchstabens, der ganz früh im Alphabet kommt mit einer sehr niedrigen Zahl hervorgehobenen Autobahn kollidierte ein auf einem Tieflader mitgeführter Bagger, den man offenbar noch etwas besser hätte zusammenfalten können mit einer Autobahnbrücke. Dies in einer Gegend, die von den meisten offenbar nur als unwirtliche Ödnis wahrgenommen wird, die man durchquert, wenn man von einer grossen Stadt in eine andere grosse Stadt kommen möchte, was offenbar die meisten Bewohner des Landes mittlerweile mehrmals täglich tun. Die Autobahn musste für einige Stunden gesperrt werden, weil man befürchtete, dass der Bagger vielleicht etwas zu viel von der Brücke mitgenommen haben könnte und diese in der Folge einstürzen könnte, worauf sie in der Folge nach Anbringung einer Stützkonstruktion aus Stahl aber verzichtete. Bis dahin stundenlange Staus, arglose Verkehrsteilnehmer verstopften während Stunden die Strassen in Ortschaften, von deren Existenz sie allenfalls in schweissgetränkten Fieberträumen geahnt hatten, wenn überhaupt. Noch immer ist unklar, ob noch Automobilisten in den unwegsamen Waldgebieten um Fislisbach herumirren und sich nun mit Schneestürmen, Wölfen und Bären herumschlagen müssen.

Und was hat der Bagger nun freigelegt, ausser der mürben Tragkonstruktion einer Brücke? Für einmal geht es nicht um Verkehrspolitik.

Zunächst einmal wird der unglückliche Chauffeur, der eigentlich doch schon genug Kummer hat mit seinem ungenügend zusammengelegten Huckepackbagger von der ehemals „stärksten Zeitung der Schweiz“ (und wohl immer noch der Marktführerin für Nichtgratisschund) kontinuierlich als „Bagger-Depp“ bezeichnet.

Bagger-Depp kracht in Brücke

Fuhrunternehmer und SVP-Nationalrat Giezendanner sagt:

Es war das grosse Thema in der Znüni-Pause, auch dank Blick. Keiner will ein ‚Bagger-Depp’ sein.

Strafbar ist die wenig empathische Bezeichnung wohl nicht, da die Qualifikation beruflicher Leistungen als ungenügend zwar die soziale Geltung einer Person beeinträchtigt, nicht jedoch seine „sittliche“ Ehre, wonach dem Grundsatze nach niemand als böser, im sittlichen Bereich bemakelter Mensch bezeichnet werden sollte. Der Haken an einem Zivilverfahren wäre, dass da wenig zu holen ist und man sich wohl zweimal überlegen wird, ob man in einem wagemutigen Blatt lesen möchte:

Bagger-Depp verklagt Blick

Umso widerlicher die Betitelung eines Menschen, der möglicherweise einen Fehler begangen hat durch Infotainer, die für eine Pointe ihre Grossmutter auch in mundgerechten Stücken verkaufen würden.

Der Unfall wurde von einem nachfolgenden Autofahrer mit einer sog. „Dashcam“, einer auf dem Armaturenbrett installierten Digitalkamera gefilmt und natürlich sofort leserreportermässig irgendwelchen Medien übermittelt und sodann veröffentlicht. Daran habe – so 20 Minuten – der EDÖB nun keine Freude:

 “Solche Dashcams können das Datenschutzgesetz verletzen», sagte die Mediensprecherin seines Büros, Eliane Schmid, auf Anfrage. «Die Betroffenen wissen nicht, dass sie gefilmt werden und können sich so auch nicht dagegen wehren» «So können Videos mit erkennbaren Autonummern und Gesichtern im Internet landen, ohne dass die Betroffenen überhaupt davon Kenntnis haben.» Ein rechtmässiger Einsatz von Dashcams könnte nur schwer gerechtfertigt werden.

Völlig unabhängig davon, ob der Einsatz solcher Kameras sinnvoll ist und ob mit so verfertigten Aufnahmen in einem Verfahren Staat zu machen wäre und schliesslich auch abgesehen davon, dass ein rechtmässiger Einsatz keiner Rechtfertigung mehr bedürfte: Ist es nicht einigermassen albern und unrealistisch, in einer bilderhungrigen Gesellschaft wie der unseren irgendwelche Filmchen Privater zu brandmarken, weil darauf irgendwelche Gesichter oder Autonummern erkennbar sein könnten? Mit dieser Argumentation ist wohl fast jeder Urlaubsschnappschuss eine Bedrohung für den Datenschutz, denn ganz oft sind auf diesen Photos irgendwelche Leute. Sind das jetzt alles Datensammlungen? Das Datenschutzrecht outet sich so einmal mehr als selbstvergessenes Kunstprodukt, das nicht nur weitestgehend ineffizient ist, sondern nur sehr lose mit den Bedürfnissen der Bürger verknüpft ist, was aber kunstvoll hinter hohlen Phrasen und komplizierten Prozeduren versteckt wird.

Wir lernen also: Einen Menschen in die Pfanne hauen und in aller Öffentlichkeit als Bagger-Deppen bezeichnen, ist ok. Filmchen machen, wo Leute drauf sein könnten, geht aber gar nicht.

Das schreckliche Ende

“In dieser Geschichte ist die Auflösung wirklich die, dass es keine versteckte Auflösung gibt. Keine Erklärung und keinen Sinn. Genau darum geht es.”

“Aber genau das stimmt doch nicht! Oder vielmehr stimmt es nur, wenn man es so erzählt, dass es stimmt. Jedes Dasein, vom Ende her gesehen, besteht aus Schrecken. Jedes Leben wird zur Katastrophe, wenn man es auf so eine Art zusammenfasst, wie du es machst.”

Daniel Kehlmann: F (Reinbeck b. Hamburg 2013, 289)

O Herr, gibt jedem seinen eignen Tod …

… hatte Rilke im Stundenbuch geschrieben.

Wahrlich. Mein Verhältnis zum Tod ist ein ganz unterschiedliches, ja konträres, je nachdem, ob es um meinen eigenen oder den Tod anderer geht.

Selbst bin ich dem Tod ganz freundlich oder gar freundschaftlich verbunden, lässt er doch durch die Endlichkeit den Augenblick überhaupt erst zu seiner einmaligen Schönheit und Bedeutung gelangen (ach, Wisława). Zudem macht er das Ganze erträglicher, weil er eine Alternative anbietet zum “Geschenk” des Lebens, das deshalb nicht unausweichlich und entsprechend nicht nur bedrückend sein muss. Umgekehrt ist mir nur schon der Gedanke an den Tod anderer Lebewesen schier unerträglich, empfinde ich den Tod als eigentliches Skandalon, weil es in seiner Endgültigkeit die Fragilität und Verletzlichkeit, die Zartheit der Existenz offenbar werden lässt, und in seiner eigenen Grundlosigkeit deren Grundlosigkeit ebenfalls an den Tag bringt.

Sehr schwer wird es mir nur, den Tod dadurch vom Schmerz zu unterscheiden, der in seiner Grundlosigkeit vielleicht noch schwerer zu ertragen ist. Aber vielleicht ist es ja die Grundlosigkeit selbst, die uns Sinnsuchende, Sinn-süchtige verstört.