by Lektürlich | Nov 11, 2014
Kennst Du Jaroslav Seifert (1901-1986), den tschechischen Lyriker, der 1984 immerhin den Nobelpreis erhalten hat? Von Seifert gibt es ein wunderbares Gedicht, Der Regenschirm vom Piccadilly. Das Gedicht ist nicht lang (3 kleine Seiten), aber zu lang, als dass ich es hier im Volltext anführen könnte. Immerhin sei der Anfang wiedergegeben:
Wer mit der Liebe nicht ein noch aus weiß,
verliebe sich
Meinetwegen in die englische Königin.
Warum nicht!
Ihr Gesicht ist auf jeder Briefmarke
des altehrwürdigen Königreichs.
Sollte er sie jedoch
um ein Stelldichein im Hyde Park bitten,
kann er Gift darauf nehmen,
dass er vergeblich warten wird.
Wenn er aber nur ein bisschen vernünftig ist,
wird er sich klug zureden:
Ach ja, ich weiß schon,
Es regnet doch im Hyde Park heute.
aus: Jaroslav Seifert:
Im Spiegel hat er das Dunkel, Gedichte, Waldbrunn 1982
Ist das nicht schön? Und tröstlich! Gerade an einem Tag wie diesem. Die Königin wird wohl auch nicht kommen, wenn es derart neblig ist. Das kann man ja wirklich verstehen.
by Filifjonka | Nov 9, 2014
- Hast du ein Liebstes?
- Hat es einen Preis?
- Würdest Du es hergeben?
- Wogegen würdest Du es eintauschen?
- Was würdest Du dafür tun, um es zu beschützen?
- Was nicht? Was wäre zuviel?
- Würdest Du es je fallenlassen?
- Was müsste geschehen, damit Du es fallenlässt?
- Würdest Du dafür töten?
- Würdest Du dafür sterben?
by Filifjonka | Nov 7, 2014
Ein ganz wunderbares Stück von einem, der das Leben und die Frauen liebte und doch an ihnen verzweifelte, dem vielleicht grössten Lyriker neuerer Zeit, Heinrich Heine (1797-1856).
Anfangs wollt’ ich fast verzagen
Und ich glaubt’, ich trüg es nie,
Und ich hab es doch getragen,
Aber frag mich nur nicht: wie?
Buch der Lieder (erstmals 1827), VIII
by Lektürlich | Nov 1, 2014
Einer der vielleicht besten Texte überhaupt zur Frage von Kontrolle bzw. Beeinflussung der Zukunft, zur Frage also von Sicherheit und Prävention stammt nicht von einem Wissenschaftler, sondern (wie könnte es anders sein) von einem Schriftsteller. Es handelt sich um einen der letzten Texte von Mark Twain (1835-1910), nämlich die Erzählung (genauer gesagt: den unvollendet gebliebenen letzten Versuch eines Romans) “Ein geheimnisvoller Fremder” (The Mysterious Stranger), im Wesentlichen ein Gespräch zwischen ein paar Jungen und Satan. Alleine schon die Publikationsgeschichte ist ein Krimi für sich und es existieren verschiedene Versionen. Doch wurde Besseres zur Frage von Kontingenz, Zufall, Schicksal und unserer lächerlichen Hilflosigkeit nie geschrieben.
Der Text findet sich (englisch) vollständig online hier. Wer ihn herunterladen möchte auf einem e-Reader findet Formate hier.
by Filifjonka | Sep 19, 2014
Schreibt Salvatore Satta (1902-1975), ein italienischer Schriftsteller, der mit seinem ersten Roman scheiterte und der daraufhin Jurist wurde und Professor für Zivilprozessrecht, in einem Essay über das Mysterium des Prozesses (S. Satta, Il Mistero del Processo, Piccola Biblioteca Einaudi 324, 2a edizione, Milano: Adelphi 2013):
Queste promesse che gli uomini, paurosi l’uno dell’altro, si scambiano in una carta più o meno solenne sono come le promesse di eterna fedeltà nell’amore: valgono finché valgono, rebus sic stantibus, finché la natura, la passione, la follia non prendono il sopravvento.
bzw. für die des Italienischen nicht Mächtigen:
Diese Versprechen, die sich die Menschen, sich voreinander ängstigend, auf einem Stück Papier mehr oder weniger feierlich geben, sind wie die Versprechen ewiger Treue in der Liebe: Sie gelten, solange sie gelten, rebus sic stantibus, bis die Natur, die Leidenschaft, der Wahnsinn die Oberhand gewinnen.
Schön, nicht? Satta, übrigens, hat auch als Professor weitergeschrieben. Ich meine: richtige Bücher. Aber im Geheimen. Und als er starb, fand sich in seinem Nachlass der Roman “Il Giorno del Giudizio” (auf deutsch erhältlich: Der Tag des Gerichts). Ein Buch, das einen umhaut. Und die Welt klagte. Natürlich. Wie immer. Wir haben ein Genie verloren! (stimmt). Und wussten es nicht! (stimmt nicht).
by Filifjonka | Aug 9, 2014
Ist es nicht verstörend, dass es – wenn man genau hinschaut – gar keine Antworten im eigentlichen Sinn gibt. Ausser vielleicht auf die wenigen Fragen, die sich mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten lassen. Und auch hier nicht wirklich.
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