Ubique naufragium

Wir haben bereits Fred Uhlman und seine Feststellung zitiert:

Sub specie aeternitatis we all, without exception, are failures.

Eine ganz ähnliche Feststellung findet sich bei Petronius Arbiter 2000 Jahre zuvor († 66, Selbstmord) in seinem Satyricon:

Si bene calculum ponas, ubique naufragium est.

Sinngemäss also: Wenn Du genau hinschaust, ist überall Schiffbruch. Der lateinische Volltext des Satyricon findet sich hier, lat. Text und auszugweise deutsche Übersetzung (allerdings ohne die hier interessierende Passage, die aus CXV stammt) hier.

Der Henker und sein Gebet

Was tut einer, wenn er sich in der Welt verliert? Was tut er, wenn er sich im Leben verliert? Oder in sich selbst? Oder in der Liebe? Spricht er stumm den Hirtenpsalm (Psalm 23):

Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
ER weidet mich auf grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
ER erquicket meine Seele.
ER führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück,
denn DU bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
DU bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
DU salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Natürlich tut er das. Doch hilft ihm das nicht wirklich. Zumindest nicht länger als das Aufsagen des Psalmes dauert. Und danach? Was tut er, wenn er in die Gaskammer eintritt? Er betet das Schma Jisrael. So wurde es jedenfalls berichtet. Doch scheint auch dies nichts anderes bewirkt zu haben als der Hirtenpsalm. Was tut einer, wenn er seinem Henker entgegentritt (das ist ja nicht selten er selbst)? Grüsst er ihn? Vielleicht. Freundlich? Möglicherweise. Immer aber stumm. Und er betet. Natürlich. Auch er. Sein hoffentlich eigenes Gebet:

gib herr
dass dieser böse traum
sein ende finden mag
bald lass die kühle nacht
auf meine lider sinken
der verbrannten stadt
gewähre das vergessen
nicht trost und keinen kuss
erlaube dieser stunde
nur einen dunklen fluss
in dem kein stern sich spiegelt und
ganz weit
den schrei der eule
die dem nahen licht zu weichen
sich erhebt zum flug

Bevor er verstummt. Endgültig:

                           I never suspected the way of truth
Was a way of silence where affectionate chat
Is but a robbers’ ambush and even good music
In shocking taste; and you, of course, never told me. (Auden)

Dann aber spannt die Seele weit ihre Flügel aus und fliegt durch stille Lande, als flöge sie nach Haus. (Eichendorff)

Regen

Ich weiss nicht genau, was ich Böses getan hätte, ausser nicht an ihn zu glauben, aber Gott muss mich hassen. Er kennt meine Aversion gegen nasskaltes Wetter sehr genau. Wer, wenn nicht er. Und dennoch lässt er es bei 10 Grad regnen. Im Juli! Und zwar hier, ausgerechnet hier bei mir! Die Welt ist doch wahrlich gross genug. Nicht in Dubai, nicht in Kinshasa oder Uagadugu, nicht in Tashkent oder im nahen Osten, wo eine Abkühlung den Gemütern vielleicht gut täte, nicht in Oslo oder Spitzbergen, Rio oder Seattle. Nein, hier muss es regnen. 

Aber darf man das Wetter überhaupt persönlich nehmen? Darf man Gott persönlich nehmen? Kann man das überhaupt? Natürlich. Man darf nicht nur, man muss es tun. Die Welt ist persönlich und konkret oder sie ist blosse Hypothese, bleibt Geschwätz. Denn wäre Gott nicht für jeden ein anderer, ein spezifischer und persönlicher, sondern für alle derselbe, wäre er eine blosse Universalie. Worin würde er sich dann vom Leben oder vom Tod unterscheiden, vom Tag oder der Nacht, von der Wahrheit oder der Liebe? Von Licht und Luft, Erde und Wasser. All diese Konzepte können gedacht, aber nicht gelebt, nicht erlebt werden. Erlebt wird nur das Konkrete. Und worin könnte die Funktion Gottes (oder eben auch des Wetters) bestehen, wenn er (es) nicht konkret erlebbar wäre?

Weinen

… und wenn wir schon beim Weinen sind, dieser “elenden Gewohnheit” wie Borges sagt: Bestimmte Himmel, Farbstimmungen oder musikalische Harmonien bringen mich praktisch immer zum Weinen. Ich habe nie verstanden warum. Ob andere das wohl auch kennen?

Verwirrung

Meine Verwirrung nimmt stetig zu. Ich weiss nicht, was ein Terrorist, und auch nicht, was ein Extremist ist. Offenbar aber reicht es aus, ein solcher “mutmasslich” zu sein, um mit Fug und Recht (dafür aber ohne Anklage oder Strafverfahren) hingerichtet zu werden.

Meine Verwirrung nimmt überhand. Ich weiss nicht einmal, was ein “Care Team” ist. Aber offenbar werden Motorradfahrer dadurch betreut, wie man liest.