Time changes, times change

Der Vater und sein 14jähriger Sohn sind auf Ferienreise, im Auto unterwegs.

Sohn: Du bist ein Arschloch! Nie mehr komme ich mit Dir in die Ferien! Schlösser und Kathedralen, Kathedralen und Schlösser …
Vater: …

Es folgt eine Pause von etwa 15 Minuten, in der nicht gesprochen wird.

Vater: Ich bin gern mit Dir unterwegs, gern in Deiner Gesellschaft.
Sohn: Ich auch mit Dir.

Vernunft & Liebe

Spricht der heilige Trinker Joseph Roth 1936 in seinem Vortrag “Glauben und Fortschritt”:

Stellen wir die Vernunft in den Dienst dessen, wozu sie uns gegeben ist, nämlich in den Dienst der Liebe.

Das klingt nach Glaube, aber es ist Verzweiflung, denn dazu wäre die Vernunft tatsächlich da, nicht wahr?

Ostende und die Haut

Ist es nicht phantastisch? Egal wie viele Sonnenuntergänge man gesehen hat, es wird nicht langweilig. Egal wie oft man auch am Meer war, es bleibt überwältigend. Und egal wie viel man gelesen hat, immer kann man Entdeckungen machen. Kaum bin ich mit den beiden Herrren am Strand zu Ende, fällt mir ein anderes kleines Buch in die Hände, das ich vor einiger Zeit gekauft hatte: Volker Weidermann, Ostende – 1936, Sommer der Freundschaft, Kiepenheuer & Witsch 2014. Weidermann (*1969) kenne ich von seinem Buch der verbrannten Bücher (Kiepenheuer & Witsch 2008), einer Art Lexikon der von den Nazis verfolgten Autoren. Nicht gelesen habe ich dagegen seine Literaturgeschichte Lichtjahre, die erhebliche Kontroversen ausgelöst hat.

Ostende erzählt, wie der Untertitel bereits andeutet, die Begegnung zweier Freunde im Sommer 1936 in Ostende. Es handelt sich um Stefan Zweig (1881-1942) und Joseph Roth (1894-1939). Keine gute Zeit für kritische Geister. Keine gute Zeit für Juden, und beide Freunde sind Juden. Natürlich tauchen neben den beiden noch viele andere prominente Exilautoren auf, etwa Egon Erwin Kisch (1885-1948) oder Hermann Kesten (1900-1996) und insbesondere auch Roths spätere Geliebte, Irmgard Keun (1905-1982), eine der autnomsten und eindrücklichsten Frauen des 20. Jahrhundert überhaupt.

Eine kleine Geschichte will ich wiedergeben zu Roth, damit Du siehst, warum ich ihn liebe. Roth spricht mit seinem Freund Soma Morgenstern (1890-1976) über das Alter:

Wie er sich selbst als Greis sehe, wollte er von Morgenstern wissen. Der hatte darüber noch nicht nachgedacht. Die Männer seiner Familie wurden ohnehin nicht alt. Doch Roth hatte oft und viel darüber nachgedacht. Er würde sehr alt werden, da war er sich sicher. Er erklärte dem verwunderten Freund: “Und immer sehe ich mich so: Ich bin ein alter, magerer Greis. Ich habe ein langes schwarzes Gewand an mit langen Ärmeln, die meine Hände fast ganz bedecken. Es ist Herbst, und ich gehe in einem Garten spazieren und denke mir listige Intrigen aus gegen meine Feinde. Gegen meine Feinde und auch gegen meine Freunde.”

Ist das nicht schön? Die zweite Geschichte betrifft Roth und seine Begegnung mit Irmgard Keun.

Sie geben sich die Hand, freundlich, Irmgard Keun sieht seine zarten, weissen Hände, die aus den schwarzen Ärmeln ragen, sie sieht den blonden, fransigen Schnurrbart, Asche auf seinem Rock. “Meine Haut hat sofort ‘Ja’ gesagt”, schreibt sie später. … 

Sie sagt später, sie habe nie zuvor und nie danach einen Mann mit so grosser sexueller Anziehungskraft kennengelernt wie Joseph Roth. An diesem Abend. Im Cafe Flore. Am liebsten würde sie sofort mit ihm gehen, egal wohin. Nur weiter zuhören und erzählen. Bei ihm sein. Und trinken.

Ist das nicht präzise? Und ehrlich. Wir haben hier ja bereits über die Haut gesprochen (etwa hier oder hier). Und Keun kennt das offenbar. Tatsächlich gibt es kein besseres, ja kein anderes Kriterium als das ‘Ja’ der Haut.

Verständnis und Sensibilität

Stimmt schon. Mein Fehler. Selber schuld. Aber das ändert eben nichts. Die Frage nach der Schuld beruhigt nur Gartenzwerge. Das Weh wird nicht weniger, wenn wir wissen, woher es kommt und wer es verursacht hat. Unsere Kindheit ändert sich nicht, wenn wir beginnen, sie zu verstehen. Johannes Urzidil (1896-1970) hat das schön formuliert:

Nicht nur für das, was wir tun, auch für das, was uns zustösst, sind wir verantwortlich, und mehr noch als unsere Taten setzen uns unsere verfehlten Nachgiebigkeiten herab.

Die Erklärung des Schmerzes mindert ihn nicht. Das ist das eigentliche Skandalon. Dies ist die eigentliche Wurzel des Schmerzes, der mystische Grund unserer Traurigkeit, unserer Untröstlichkeit: Das Verständnis der Dinge ändert sie nicht. Bessert sie nicht. Mildert sie nicht. Dies ist, was Intellektuelle und Sensible gleichermassen schockiert und ganz und gar sprachlos macht. Weil es ihre vollständige (und ich meine wirklich: vollständige, also jede Faser erfassende und durchdringende) Nutz- und Sinnlosigkeit, ja vielleicht gar Schädlichkeit so offenbar, so überdeutlich werden lässt. Worin könnte der Sinn eines Unternehmens bestehen, das den Schmerz nicht mindert? Es bleibt nur die vage Hoffnung, dass ein nachlässiger Gott uns das Gebrabbel verzeiht.

Nur die Liebe vermöchte, das Weh zu mindern. Wenn überhaupt. Ich fürchte allerdings, ach Rothschild, auch dies sei mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Mir gehen die Argumente aus …

Unternehmenskommunikation

Bei der Kommunikation innerhalb von Unternehmen ist bedeutsam, den Mitarbeitenden ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln. Gelungene Unternehmenskommunikation zeigt den Mitarbeitenden, dass sie nicht nur ersetzbare «Manpower» sind, sondern als Menschen wahrgenommen werden. Ein solcher Eindruck kann z.B. dadurch vermittelt werden, dass Ein- und Austritte in einem periodischen Informationsmedium für die Mitarbeitenden vermerkt werden. Etwa so:

Sven

Verpacktes Seelchen

Ich kann mich quasi “ausziehen”, nicht den Körper, sondern die Seele. Ich kann mich gewissermassen “zulassen”. Doch wenn ich das tue, dann zittert mein Seelchen wie Espenlaub. Da es sich gewohnt ist, mich wie eine Rüstung zu tragen, in deren Dunkel es sich versteckt, gewohnt daran, die Welt nur gedämpft wahrzunehmen, haben es Schärfe und Bitterkeit nicht vollständig vernarbt, ganz weich und dünnhäutig, empfindlich immer noch, wie wir es wohl ursprünglich waren. Überdeutlich nimmt es Verstecktes und Unausgesprochenes wahr, Zuneigung, Vertrauen, Verachtung, Zweifel und Angst. Das Erstaunlichste aber: Mühelos spürt es Nähe auch auf grosse Distanz. Die Luft vibriert. Jeder Hauch ist ein Sturm, jedes Flüstern ein Brüllen. Und Gleichgültigkeit ein scharfes Messer. So zieht es sich bald wieder an, zieht sich in mich zurück. Wo es keiner vermutet.

Robert & Clara Schumann

Zweitausendeins schickt mir heute ein Gedicht von Charles Bukowski (1920-1994), das so wunderbar zu dem passt, was wir hier diskutieren, dass ich es wiedergeben muss. Es handelt von Robert Schumann (1810-1856) und seiner Frau Clara (1819-1896). Politisch-emanzipiert-korrekt wird heute manchmal vorgebracht, Clara sei das grössere Genie gewesen, sie habe ihre Karriere als Pianistin ihrem Mann geopfert und gar, eigentlich habe sie viele der Werke Roberts komponiert. Wenn Du Dir die Lebensdaten dar beiden anschaust, wirst Du wissen, was daran wahr ist. Bukowski aber bringt es auf den Punkt:

1810-1856

Eines Tages stürzte sich Robert
Schumann in den Rhein und sie
steckten ihn in eine Irren-
anstalt. Lebenslänglich.

Seine Frau Clara hielt trotzig
seine Kompositionen unter Verputz
Und verhinderte, daß sie auf-
geführt wurden.

Man könnte meinen, daß sie seine
größte Beschützerin und beste
Kritikerin war. Ich schätze
man könnte alles mögliche
meinen, aber ich bin froh
dass ich heute abend etwas
von Robert höre und nicht
von Clara.

Was wäre mehr zu sagen. Ehrlich und unangenehm wie immer. Wenn Du Bukowski nicht kennst, lies ihn! Seine Kurzgeschichten, z.B. Fuck Machine, oder seine Romane, z.B. den Mann mit der Ledertasche, oder anderes. Kaum je wurde so gut über Sex geschrieben, kaum je wurde Sex so gut geschrieben.

Der Gartenzwerg in mir

Eben war ich in einem Restaurant, in dem es zwei Toiletten gibt, eine für Männer und eine für Frauen. Sie unterscheiden sich nur durch die Buchstaben auf ihren Türen. Gut abgerichtet bin ich in diejenige getreten, die meinem Geschlecht bestimmt wurde. Aber sie war besetzt. Ich wollte erst warten. Dann aber hab’ ich mir ein Herz gefasst und bin ins Frauen-WC, das direkt daneben lag und frei war. Ich habe eine Toilette benutzt, auf deren Tür ein F angebracht war statt eines M. Das ist alles. Aber ich hatte gezögert, hatte einen Widerstand überwinden müssen. Und hernach war ich – es ist mir unangenehm und ein wenig peinlich, das zu erzählen, aber ich will ehrlich sein – ich war ein wenig stolz auf mich. Kaum aber wurde mir dies bewusst, als ich mich auch schon zu schämen begann. Und ein wenig auch zu verachten: Wohin bin ich bloss gekommen? Was ist aus mir geworden? Stolz zu sein auf so etwas? Die Gartenzwerge haben gesiegt, sie sind in mir! Was für eine Schande!

Dunkles Begehren

Unser Blog sei ein wenig dunkel in letzter Zeit, habe ich jüngst gehört. Das mag sein. Indes, die Farbgebung ist nicht neu und es sind dunkle Zeiten. Der Nebel steht so dicht, dass er den Himmel verdunkelt, obwohl die Nacht noch nicht gefallen ist. Sichtbare Dunkelheit. Armageddon wird nicht wirklich anders aussehen. Es fehlen nur die apokalyptischen Reiter. Allüberall herrschen Verwalter. Das Zeitalter der Gartenzwerge.

Für unser Begehren aber, das als Einziges der Nacht widerstehen könnte, dessen Glut uns vorübergehend ein wenig Wärme und Licht zu spenden vermöchte, entschuldigen wir uns, statt stolz darauf zu sein.

wieder keine antwort

wirst du mir den weg der feiglinge verzeihen können, frage ich mich erneut.
und weiss wieder keine antwort.

Puppentheater

Ich mag nicht mehr funktionieren. Weiss zwar nicht warum, aber ich kann das wirklich gut. Es funktioniert mich. Ich spiele mich recht überzeugend. Kaum einer merkt etwas. Manchmal nicht einmal ich selbst. Merkwürdigerweise. Ich spiele mich inzwischen so gut, dass selbst ich den Unterschied zwischen meiner Darstellung und mir manchmal nicht mehr finde. Nur eben –: ich mag nicht mehr. Und dann weiss ich es wieder: Kaum bin ich allein mit mir, senkt sich die Nacht. Und verschlingt mich.

Zufall als Beleidigung

Vielleicht am allerschwersten zu ertragen bleibt, dass der innerste Kern des Lebens Ungerechtigkeit ist. Oder genauer: Zufälligkeit.

Wie viele Menschen waren nicht freundlich zu mir, nett und hilfsbereit. Ohne Grund und ganz unverdient. Nicht Dutzende oder Tausende gibt es, Millionen, die Freundlichkeit, Hilfe, Aufmerksamkeit und Zuneigung nötiger gehabt und mehr verdient hätten, als ich. Wie könnte ich diese Schuld je abtragen?

Unser Weh findet keinen Grund. Es bleibt essentiell nicht nur Nebensächlichkeit (das haben wir bereits festgestellt), sondern Zufälligkeit. Dies zu erkennen ist, was uns verstummen lässt. Sogar gequält zu werden, wäre uns erträglicher, wenn die Quälerei keine Zufälligkeit wäre.

Unfreiwillige Komödianten

Zum Abschied, das wunderbare Buch, Zwei Herren am Strand, ist trotz äusserst langsamer Lektüre, zu Ende gegangen, noch eine ganz phantastische Passage (248 f.):

Meine Mutter starb, als ich fünf war, ich kann mich nur schemenhaft an sie erinnern. Mein Vater hat den Verlust nie überwunden. Er hat nicht mehr geheiratet. Um sich selbst zu trösten und um mir ein wenig das Gefühl einer Familie zu vermitteln, spielte er mir am Abend vor dem Einschlafen “Gespräche der Eltern über ihren Sohn” vor. So sachlich drückte er sich aus. Er umarmte ein Kopfkissen, das war meine Mutter und sprach einmal als er einmal als sie. Ohne die Stimme zu verstellen. Es war nichts Parodistisches dabei. Die Gespräche waren manchmal lustig, meistens ernst, wenn sie lustig waren, waren sie nicht lustig gemeint. Er erzählte meiner Mutter, was am Tag geschehen war, sie gab ihre Kommentare dazu ab, er fragte sie um Rat, sie gab Rat. Es kam vor, dass sie nicht einer Meinung waren, es kam vor, dass sie sich stritten, dann war er beleidigt und redete nicht mehr und überliess ihr das Reden, bis sie sich wieder versöhnten. Er spielte das so glaubwürdig, dass mir während der Szene nicht ein Mal der Gedanke kam, das alles sei gar nicht echt. Wenn er den Beleidigten spielte, war er beleidigt, und ich bat ihn, wieder mit Mama gut zu sein, ich hätte sonst nicht einschlafen können. Mein Vater war ein grosser Komödiant, ein grosser unfreiwilliger Komödiant.

Ist das nicht herrlich? Beschreibt es nicht vollständig unsere Gespräche? Wir bringen es nicht über uns zu sagen, was uns quält, und spielen deshalb ständig Theater. Unfreiwillige Komödianten allesamt.

Eine alte Freundin

Wenn ich genügend getrunken habe,
werden Deine Augen weich und nachsichtig.
Wenn ich genügend getrunken habe,
vermag ich sogar mir selbst ein wenig zu verzeihen.
Wenn ich genügend getrunken habe,
scheint auch der Morgen weniger bedrohlich.
Wenn ich genügend getrunken habe,
setzt sich die Angst ganz freundlich neben mich.
Umarmt mich. Hält mich. Eine alte Freundin eben.
Wir kennen uns schon lange. Immerhin.
Weder Notwendigkeit noch Raum für Erklärungen.
So überstehen wir gemeinsam die Nacht.

Eine alte Geschichte …

Gibt es Fürchterlicheres, Schöneres als Heinrich Heine (1797-1856)? Kaum je hat einer so böse über sein eigenes Weh gespottet. Was für eine Sprache! Karl Kraus (1874-1936) hat zwar bissig bemerkt:

Heine war ein Moses, der mit dem Stab auf den Felsen der deutschen Sprache schlug. Aber Geschwindigkeit ist keine Hexerei, das Wasser floß nicht aus dem Felsen, sondern er hatte es mit der anderen Hand herangebracht; und es war Eau de Cologne. Heine hat aus dem Wunder der sprachlichen Schöpfung einen Zauber gemacht. Er hat das höchste geschaffen, was mit der Sprache zu schaffen ist; höher steht, was aus der Sprache geschaffen wird.

K. Kraus: Heine und die Folgen. Im Volltext hier.

Aber Kraus zum Trotze mag uns das nur als Ansporn dienen. Es soll uns recht sein und billig, aus dem Wunder der Sprache einen Zauber zu machen. Ein Beispiel nur:

Ein Jüngling liebt ein Mädchen

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.

aus: H. Heine: Buch der Lieder, Berlin 1823.