Schönheit …

Wir haben schon verschiedentlich über die Haut gesprochen, über das Leiden, die Sinnlichkeit als einzig zuverlässige (weil notwendig konkrete) Kriterien. Im erwähnten Zwillingsstück zum “Wiedergefundenen Freund” von Fred Uhlman, der Erzählung “No Coward Soul Im Mine” findet sich eine sehr hübsche Passage, die das für die Schönheit illustriert (Der wiedergefundene Freund, Zweiter Teil: Die Aufzeichnungen des Konradin von Hohenfels, DVA 1989, 103 f.):

Ich erinnere mich, wie ich einmal im Bus einer eher durchschnittlichen Frau gegenübersaß. Sie erregte meine Begier mehr als jede Frau, der ich begegnet bin, und ich bin einigen der schönsten Frauen begegnet. Ich wollte nur noch eines: mit ihr ms Bett gehen. Sie tat nichts, sie sah mich nur an, während sich ihre Lippen, sehr sinnliche Lippen, leicht öffneten. Ich war so erregt, daß ich ihr folgen wollte, als sie aufstand, aber natürlich blieb ich sitzen, wohIerzogen wie ich war. Aber sie verfolgte mich in meinen Träumen: Ich sah ihren prachtvollen Hintern unter dem knapp sitzenden Rock. (Gab es nicht die Statue einer griechischen Göttin »mit dem schönen Gesäß«?) Wie soll man sich die schöne Helena vorstellen? Ich habe keine Ahnung, wie sie aussah. Aber es ist überliefert, daß Tausende für sie gestorben sind und Weib und Kinder vergessen haben. Ob aber ich sie als Gegenüber im Bus unwiderstehlich gefunden hätte? Vielleicht wäre sie mir als Schönheit erschienen. Ob sie jedoch in mir den Wunsch erregt hätte, mit ihr ins Bett zu gehen? Hätte ich von ihrem Hintern geträumt?

Klassische griechische Schönheit kann jede Liebe töten. Ich habe in meinem kurzen Leben zwar nur einige wirklich schöne Frauen kennengelernt, aber sie ließen mich kalt, mein Herz schlug nicht schneller bei ihrem Anblick, und ich spürte nicht das geringste Verlangen, sie zu entkleiden.

Ich habe mir da eine Theorie zurechtgelegt, von er ich jetzt in der Vergangenheitsform sprechen muss: Einzig jene Frauen waren schön, bei denen man begehrte, sie auszuziehen, ihre Brüste zu berühren, ihren Hintern anzufassen, ihr Haar zu streicheln, sie einzuatmen, sie aufzufressen – ob Hure oder Herzogin, das spielte keine Rolle.

Wie wunderbar ehrlich das ist. Handelt es sich nicht immer genau darum: Sich selbst zu spüren, seine eigene Haut, seine eigenen Empfindungen freizulegen unter all dem Wust von Ideen, Konzepten und Vorstellungen anderer (die wir ja immer auch ein wenig übernehmen)? Und wenn wir das tun, wird nicht Schönheit sehr persönlich, unvergleichlich? Wie könnten wir da mit einem überkommenen oder herrschenden Ideal übereinstimmen? Werden nicht sogar die Merkmale, die sie für uns konstituieren, unsagbar? Wie könnten wir das je erklären? Und ist dies nicht gerade der Kern der Wahrheit? Dass sie nicht sagbar ist? Und gilt – sobald es tatsächlich Unseres ist – gleiches nicht für die Liebe und – ja –, auch für den Schmerz. Noch einmal Auden (The Sea and the Mirror: A Commentary on Shakespeare’s The Tempest, 1944; Prospero to Ariel):

                                    Can I learn to suffer
Without saying something ironic or funny
On suffering? I never suspected the way of truth
Was a way of silence where affectionate chat
Is but a robbers’ ambush and even good music
In shocking taste; and you, of course, never told me.

Und nachträglich entdeckt (wie sich doch die Dinge zusammenfügen und die Bücher sich finden): Aus der eben erwähnten Erzählung von Uhlman ( 118) genau dies:

Echte Schönheit verlangt völlige Stille. Ein einziges Wort kann sie vernichten. Schönheit, große Schönheit kann schmerzen. Es gibt Augenblicke, da möchte man eigentlich weinen, und jeder Laut – von einer Stimme, einem Auto, einem Radio, sogar von einem Raben – kann alles zerstören, wie ein Stein, der in einen Teich mit roten und weißen Seerosen geworfen wird.

Manche freilich …

Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,
Leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:

Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

Hugo von Hofmannsthal, 1896. Texte und Interpretationen hier.

Nichtigkeit

“I have no confidence. So, in my heart of hearts I look on myself as a failure. Not that this really matters. Sub specie aeternitatis we all, without exception, are failures. I don’t know where I read that ‘death undermines our confidence in life by showing that in the end everything is equally futile before the final darkness’. Yes, ‘futile’ is the right word. Still I musn’t grumble: I have more friends than enemies and there are moments when I am almost glad to be alive. When I watch the sun set and moon rise, or see snow mountain tops.”

Fred Uhlman (1901-1985), Reunion 2006 [1971], 78.

Die Erzählung ist als “Der wiedergefundene Freund” auf deutsch erschienen. Die Diogenes-Ausgabe umfasst diese Erzählung, diejenige der DVA zudem noch die sie ergänzende “No coward soul is mine”, die dieselbe Geschichte aus der Perspektive Konradin von Hohenfels’ erzählt.

Das Böse überwinden

Vergeben habe ich nicht, aber etwas Schlimmeres ist mir passiert. Ich als Pole (denn gerade „als Pole” hatte ich das erlebt) musste Hitler werden.

Ich musste all jene Verbrechen auf mich nehmen, ganz so, als hätte ich sie selbst begangen. Ich wurde Hitler und musste annehmen, dass Hitler in jedem sterbenden Polen gegenwärtig war, dass er in jedem lebenden Polen ständig gegenwärtig ist.

Verurteilung, Verachtung, das ist keine Methode, das ist gar nichts… es festigt das Verbrechen nur, wenn man ewig darauf herumhackt… Schlucken muss man es. Aufessen. Man kann das Böse überwinden, aber nur in sich selbst. Völker der Erde: Meint ihr immer noch, Hitler sei nur ein Deutscher gewesen? 

Witold Gombrowicz, Berliner Notizen (Tagebuch 1964), Berlin 2013, 124

Leid … nebenher

Eine meiner Lieblingskompositionen ist die Sonate K87/L33/P43 in h-moll (Andante mosso) von Domenico Scarlatti (1685-1757). 22 verschiedene Aufnahmen besitze ich davon und ich möchte keine missen. Die kürzeste Version dauert 2 Minuten 48 Sekunde (gespielt von Vladimir Horowitz), kurz sind auch die von Pierre Hantaï (3’27”) und Marcelle Meyer (3’48”; die andere Aufnahme von ihr, 7 Jahre später, 1953, dauert mit 5’32” erheblich länger). Die längste Version nimmt 7’14” (Anne Queffelec) in Anspruch. Ähnlich lang sind auch Christian Zacharias (6’43”) und Tedi Papavrami (6’33”, Transkription für Violine solo). Es gibt viele Einspielungen auch auf dem Netzt. Hier nur eine davon:

Manchmal frage ich mich, was an dem Stück so Besonderes ist, was mich daran bindet und damit verbindet? Vieles und Verschiedenes, natürlich, wie immer. Aber eines vielleicht mehr als alles andere: Die Aporie von Glück und Leid, die darin perfekt zum Ausdruck kommt.

Beginnen wir mit dem Glück, das von der Sonate ausgeht, das sie regelrecht ausstrahlt. Das ist kein hüpfendes, übermütiges Glück, es ist ein ruhiges, bedächtiges, tröstendes Glück, eines das um die dunklen Zeiten weiss, die Schmerzen und das Leid. Dieses Glück aber entsteht nicht vor dem Hintergrund des Unglücks, das überwunden oder gemeistert ist, es ist kein Aufatmen nach bestandener Prüfung, sondern eher eine pflichtbewusste Willensanstrengung. Wie das etwa in den “Zehn Wegen zur Tugend” von Zbigniew Herbert zum Ausdruck kommt, wo es heisst:

7. Try to be happy, for only such people can make others happy.

Dasselbe Glück, das sich ganz ähnlich auch bei Jorge Luis Borges und seinen Fragmenten eines apokryphen Evangeliums findet:

4. Unselig der weint, denn er hat bereits die elende Gewohnheit des Weinens.

5. Selig die wissen, daß das Leiden keine Krone der Glorie ist.

Glück also als Leistung, als Grossmut und bewusst Gewolltes. Aber natürlich ist dann auch das Leid darin enthalten. Kein schreiendes, scharfes, schneidendes Leid, auch kein weinendes (dazu ist es zu gross), eher ein sanftes, resigniertes, weiches, im eigentlichen Sinne trostloses Unglück. Ein Leiden, das der englische Dichter W. H. Auden in seinem Gedicht Musee des Beaux Arts perfekt beschrieben hat:

About suffering they were never wrong,
The old Masters: how well they understood
Its human position: how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer’s horse
Scratches its innocent behind on a tree.

Das Gedicht macht in seiner zweiten Hälfte seinen Bezug explizit, nämlich die “Landschaft mit dem Sturz des Ikarus” von Pieter Bruegel.

Bruegel,_Pieter_de_Oude_-_De_val_van_icarus_-_hi_res

Vom ertrinkenden Ikarus nämlich sind nur noch seine Beine zu sehen, und auch das nur peripher, rechts unten. Und genau dies, die notwendige Nebensächlichkeit, die Selbstverständlichkeit des Leids, so scheint mir, ist der funkelnde Kern dieser wunderbaren Sonate.

Glück und Bewusstsein

Das Bewusstsein des Glücks zerstört es wahrscheinlich, reflektiert es, relativiert es, macht es angreifbar, dem Vergleich zugänglich. Wahrhaft glücklich sind wahrscheinlich nur die Naiven. Dass wir in dem Zustand waren, ist uns immer erst hinterher zugänglich. Das Paradies ist immer verloren, von Anbeginn an. Das biblische Bild vom Baum der Erkenntnis ist schon sehr treffend. Umgekehrt scheint mir, und das ist einigermassen verstörend, dass unser Unglück durch die Tatsache, dass wir darum wissen, noch vergrössert wird. Sinn ergibt das nur, wenn Bewusstsein selbst eine Ursache des Unglücks ist. Und möglicherweise ist genau dies der Fall – und wohl auch der tiefere Grund, weshalb wir so ein so starkes Bedürfnis haben, uns zu betäuben, uns zu verlieren. Vielleicht ist Bewusstsein ein paradoxes Phänomen: höchstes Ziel und Vollendung wäre die eigene Selbstaufhebung.

Und darin, übrigens, entspricht es der Liebe. Merkwürdigerweise.
Aber das macht es nicht verständlicher.

Vor dem Gesetz

Vielleicht ist es nicht ganz überflüssig, für die Frage der Abstraktion, die wir hier verschiedentlich diskutiert haben, auf eine ganz kleine Geschichte von Franz Kafka hinzuweisen, “Vor dem Gesetz“, erschienen 1914. Nachfolgend der Volltext:

Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. „Es ist möglich,“ sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht.“ Da das Tor zum Gesetz offen steht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehen. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: „Wenn es dich so lockt, versuche es doch trotz meines Verbotes hineinzugehen. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehen aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des Dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.“ Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen, schwarzen tartarischen Bart, entschließt er sich doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen Schemel und läßt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen. Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche eingelassen zu werden und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, daß er ihn noch nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei: „Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.“ Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast ununterbrochen. Er vergißt die andern Türhüter und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos und laut, später als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch und da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zu ungunsten des Mannes verändert. „Was willst du denn jetzt noch wissen?“ fragt der Türhüter, „du bist unersättlich.“ „Alle streben doch nach dem Gesetz,“ sagt der Mann, „wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?“ Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Ist das nicht das eigentliche Problem auf den Punkt gebracht?

Von einem Bagger, der merkwürdige Eingeweide eines Landes freilegte, obwohl er nicht in der Erde grub sondern am Himmel kratzte

In der letzten Woche wurde die Schweiz von einem Ereignis bewegt, das eigentlich relativ schnell erzählt ist: Auf einer wichtigen, in ihrer Wichtigkeit durch die Kombination eines Buchstabens, der ganz früh im Alphabet kommt mit einer sehr niedrigen Zahl hervorgehobenen Autobahn kollidierte ein auf einem Tieflader mitgeführter Bagger, den man offenbar noch etwas besser hätte zusammenfalten können mit einer Autobahnbrücke. Dies in einer Gegend, die von den meisten offenbar nur als unwirtliche Ödnis wahrgenommen wird, die man durchquert, wenn man von einer grossen Stadt in eine andere grosse Stadt kommen möchte, was offenbar die meisten Bewohner des Landes mittlerweile mehrmals täglich tun. Die Autobahn musste für einige Stunden gesperrt werden, weil man befürchtete, dass der Bagger vielleicht etwas zu viel von der Brücke mitgenommen haben könnte und diese in der Folge einstürzen könnte, worauf sie in der Folge nach Anbringung einer Stützkonstruktion aus Stahl aber verzichtete. Bis dahin stundenlange Staus, arglose Verkehrsteilnehmer verstopften während Stunden die Strassen in Ortschaften, von deren Existenz sie allenfalls in schweissgetränkten Fieberträumen geahnt hatten, wenn überhaupt. Noch immer ist unklar, ob noch Automobilisten in den unwegsamen Waldgebieten um Fislisbach herumirren und sich nun mit Schneestürmen, Wölfen und Bären herumschlagen müssen.

Und was hat der Bagger nun freigelegt, ausser der mürben Tragkonstruktion einer Brücke? Für einmal geht es nicht um Verkehrspolitik.

Zunächst einmal wird der unglückliche Chauffeur, der eigentlich doch schon genug Kummer hat mit seinem ungenügend zusammengelegten Huckepackbagger von der ehemals „stärksten Zeitung der Schweiz“ (und wohl immer noch der Marktführerin für Nichtgratisschund) kontinuierlich als „Bagger-Depp“ bezeichnet.

Bagger-Depp kracht in Brücke

Fuhrunternehmer und SVP-Nationalrat Giezendanner sagt:

Es war das grosse Thema in der Znüni-Pause, auch dank Blick. Keiner will ein ‚Bagger-Depp’ sein.

Strafbar ist die wenig empathische Bezeichnung wohl nicht, da die Qualifikation beruflicher Leistungen als ungenügend zwar die soziale Geltung einer Person beeinträchtigt, nicht jedoch seine „sittliche“ Ehre, wonach dem Grundsatze nach niemand als böser, im sittlichen Bereich bemakelter Mensch bezeichnet werden sollte. Der Haken an einem Zivilverfahren wäre, dass da wenig zu holen ist und man sich wohl zweimal überlegen wird, ob man in einem wagemutigen Blatt lesen möchte:

Bagger-Depp verklagt Blick

Umso widerlicher die Betitelung eines Menschen, der möglicherweise einen Fehler begangen hat durch Infotainer, die für eine Pointe ihre Grossmutter auch in mundgerechten Stücken verkaufen würden.

Der Unfall wurde von einem nachfolgenden Autofahrer mit einer sog. „Dashcam“, einer auf dem Armaturenbrett installierten Digitalkamera gefilmt und natürlich sofort leserreportermässig irgendwelchen Medien übermittelt und sodann veröffentlicht. Daran habe – so 20 Minuten – der EDÖB nun keine Freude:

 “Solche Dashcams können das Datenschutzgesetz verletzen», sagte die Mediensprecherin seines Büros, Eliane Schmid, auf Anfrage. «Die Betroffenen wissen nicht, dass sie gefilmt werden und können sich so auch nicht dagegen wehren» «So können Videos mit erkennbaren Autonummern und Gesichtern im Internet landen, ohne dass die Betroffenen überhaupt davon Kenntnis haben.» Ein rechtmässiger Einsatz von Dashcams könnte nur schwer gerechtfertigt werden.

Völlig unabhängig davon, ob der Einsatz solcher Kameras sinnvoll ist und ob mit so verfertigten Aufnahmen in einem Verfahren Staat zu machen wäre und schliesslich auch abgesehen davon, dass ein rechtmässiger Einsatz keiner Rechtfertigung mehr bedürfte: Ist es nicht einigermassen albern und unrealistisch, in einer bilderhungrigen Gesellschaft wie der unseren irgendwelche Filmchen Privater zu brandmarken, weil darauf irgendwelche Gesichter oder Autonummern erkennbar sein könnten? Mit dieser Argumentation ist wohl fast jeder Urlaubsschnappschuss eine Bedrohung für den Datenschutz, denn ganz oft sind auf diesen Photos irgendwelche Leute. Sind das jetzt alles Datensammlungen? Das Datenschutzrecht outet sich so einmal mehr als selbstvergessenes Kunstprodukt, das nicht nur weitestgehend ineffizient ist, sondern nur sehr lose mit den Bedürfnissen der Bürger verknüpft ist, was aber kunstvoll hinter hohlen Phrasen und komplizierten Prozeduren versteckt wird.

Wir lernen also: Einen Menschen in die Pfanne hauen und in aller Öffentlichkeit als Bagger-Deppen bezeichnen, ist ok. Filmchen machen, wo Leute drauf sein könnten, geht aber gar nicht.

Wetter und Unwetter

Gerade gehört:

… die Wetterstationen gaben Unwetterwarnungen aus …

Warum taten das nicht die Unwetterstationen? Tun die ihre Arbeit nicht? Oder geben die etwa die Wetterwarnungen aus?

Bewusstsein und Leid

Aber kann eine Philosophie, deren Ausgangspunkt das Bewusstsein ist, viel mit dem Dasein gemein haben? Das Bewusstsein als solches ist doch dem Leben gleichgültig. Das Leben kennt nur die Kategorien von Leid und Vergnügen. Nur in den Möglichkeiten Schmerz und Lust existiert die Welt für uns. Solange es kein Bewusstsein von Schmerz oder Lust ist, ist das Bewusstsein für uns ohne Belang. Ich habe mir die Existenz dieses Baumes bewusst gemacht – ja und? Er wärmt mich nicht, er macht mich nicht frieren. Bewusstgewordenes Sein ist kein Sein – solange meine Sinne es nicht empfinden. Wichtig ist bist das bewusstgemachte, sondern das empfundene Sein. Das Bewusstsein muss also ein Bewusstsein der Empfindungsfähigkeit sein, nicht unmittelbares Bewusstsein des Seins.

Das Leid aber (und also auch das Vergnügen) steht seinem Wesen nach im Widerspruch zum Begriff der Freiheit. Zu sagen, dass wir uns eine gewisse, grundsätzliche Möglichkeit von Freiheit angesichts des Leidens bewahren (die an der Sinnhaftigkeit unseres Wertesystems hinge; und sei es auch nur die Freiheit “in der Situation”), hiesse diesem Wort überhaupt jeden Sinn zu rauben. Das Leiden ist etwas, das ich nicht will, das ich erleiden muss, entscheidend ist hier der Zwang, also der Mangel an Freiheit. Es gibt wohl kaum einen grösseren Gegensatz als den zwischen Leiden und Freiheit.

Witold Gombrowicz, Berliner Notizen (Tagebuch 1964), Berlin 2013, 79

Mein wundes Herz

Ganz am Ende noch die Entdeckung des Jahres, für mich jedenfalls (denn ich bin ja ein wenig langsam). Das Amestoy Trio aus Toulouse. Akkordeon, Gitarre und Tuba. Leider gibt’s auf dem Netz die besten Dinge wie “9 Rue de Lappe” oder “Soir de Paris” nicht. Viele können aber hier online gehört werden, und immerhin zwei sehr schöne gibt es auf YouTube:

1. “La steppe”

und 2. “Marinette”

Beide aus dem Album “Le fil” aus dem Jahr 2003. Fünf Jahre später, 2008, ist “Sport et couture” erschienen. Beide Alben auf iTunes erhältlich.

Warum nur, frage ich mich, tröstet das mein wundes Herz? Ist Musik nicht der schlagende Beweis, dass es keinen Inhalt gibt jenseits der Oberfläche? Und ist denn Oberfläche nicht genug?

O Sicherheit, O Fürsorge

Spanien verbietet die sog. E-Zigaretten wie die Medien berichten (hier etwa die NZZ), d.h. elektrische Zigaretten, die Nikotin enthalten und die beim Ausatmen Wasserdampf produzieren. Das Lustige daran ist, dass anders als bei “richtigen” Zigaretten, hier das Argument der Schädigung anderer durch deren Passivrauchen überhaupt nicht sticht. Entsprechend wird denn auch nicht so argumentiert, sondern über die Raucher selbst, die man schützen müsse:

Minderjährige dürfen E-Zigaretten, die flüssiges Nikotin enthalten und beim Inhalieren in Dampf verwandeln, schon seit längerem nicht nutzen. […] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor E-Zigaretten, da ihre Folgen für die Gesundheit unzureichend erforscht seien. (so News.ch)

Und weil die WHO ihre Unbedenklichkeit nicht bestätigt hat, gelten sie als gesundheitsschädlich und dürfen nicht verwendet werden. Jetzt versteht man. Wahrscheinlich hat dann ja eine entsprechende Unbedenklichkeitsprüfung für Junk-Food-Ketten wie etwa MacDonald’s schon längst stattgefunden, richtig?

Oder noch etwas grundsätzlicher: Würde man sich eine solche Unbedenklichkeitsprüfung nicht auch für die Liebe wünschen. Solange sie nicht vorliegt, darf nicht geliebt werden. Und auch hier wäre doch Jugendschutz angezeigt, denn sind es nicht unsere frühesten Liebesbeziehungen, die uns am intensivsten gefährden (denn später lernen wir ja leider, Rüstungen anzuziehen)?

Gnade

Was für ein Weihnachtsfest! Die Königin von England vergibt Alan Turing doch noch sein Verbrechen – schwul gewesen zu sein.

Turing

Siehe 20Min

… noch Ende 2011 blockte das Justizministerium in London einen Vorstoß ab, Turings Verurteilung postum aufzuheben. Die Begründung: Er hätte schließlich gewusst, dass sein Tun zur damaligen Zeit strafbar gewesen sei.

So der Spiegel. Klar: Selber schuld! Aber immerhin: Wenn schon keine Gerechtigkeit, dann wenigstens Gnade. Wie schön. Der Spiegel weiter:

Die jetzige Entscheidung der Queen war laut Grayling erst die vierte Begnadigung durch einen Monarchen in Großbritannien seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Aha. Waren das auch Schwule, fragt man sich? Und hatte Grossbritannien in dieser ganzen Zeit nur 4 Schwule? Und wenn nicht, wer verzeiht dann den anderen und begnadigt sie? Und wie lange wird das bei denen dauern, die keine für das Königreich unersetzlichen Genies waren, sondern nur einfach schwul?

Wir hatten hier die Gnade und ihr Zugehören zu Gott bereits erwähnt. Nicht überflüssig deshalb vielleicht ein Passage aus der Bibel (Hebräer, 12/6 ff.):

6 Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er geißelt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. Wenn ihr Züchtigung erduldet, so behandelt euch Gott ja als Söhne; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? Seid ihr aber ohne Züchtigung, derer sie alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr ja unecht und keine Söhne!

Wieviel Trost doch Schwule (aber auch andere ungerecht Behandelte) in der Religion finden könnten, wenn sie nur wollten.