Thomas: Eine Meinung ist keine Tat. Eine Meinung ist eine Meinung. Eine Tat ist eine Tat. Er nimmt eines der auf dem Tisch liegenden Blätter und liest vor. «Wir bekennen uns zu dieser Aktion, durchgeführt an den Weihnachtstagen. Wir bekennen uns zur Notwendigkeit dieser drastischen Maßnahme zur Destabilisierung des Status quo. Bekennen uns zu jedem Mittel, das in Frage stellt, was angeblich ohne Alternative ist.» Er schweigt einen Moment, schüttelt den Kopf und liest weiter. «Die Rhetorik vom Schutz Unschuldiger kommt einem System zugute, das dafür sorgt, dass es ebenso wenig Unschuldige gibt wie wahrhaft Schuldige. Es gibt keine Kombattanten mehr, sondern nur Personen unter Sachzwang. Wer Mitleid fordert, der fordert, den Kampf aufzugeben. Wer den Kampf noch fuhren will, akzeptiert, dass man ihn unmenschlich nennt.» Das ist von Ihrem Computer.
Daniel Kehlmann: Heilige Abend, in: 4 Stücke, Hamburg 2019, 166
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