Es braucht nur wenig, eine Veränderung des Lichts, eine Wolke, den Anflug einer Melodie, ein strampelndes Insekt, einen Satz, eine Bemerkung oder einen Blick, und ich kämpfe mit den Tränen. Ein längst vergangener Moment ist wieder da, ein Gesicht, ein Blick, gleich Prousts Madeleine. Und dann zieht eines ein anderes mit sich. Und die Welt verschwimmt, versinkt in einem Nebel.
Ist das Traurigkeit? Ist es Depression? Ist es normal, will sagen: häufig? Geht es anderen auch so, dass nicht zu weinen, eine erhebliche Anstrengung verlangt? Eine Anstrengung, die aus Pflichtgefühl erbracht wird, wegen der Pflicht, glücklich zu sein. Und aus Scham. Oder ist es Verachtung?
4. Unselig der weint, denn er hat bereits die elende Gewohnheit des Weinens.
(J. L. Borges, Fragmente eines apokryphen Evangeliums)
Ist Traurigkeit, was die Physik «stabiles Gleichgewicht» nennt? Huxley schreibt einmal, dass sich das Böse von ganz alleine verwirkliche, ohne unser Zutun, alleine deshalb, weil wir es zulassen, während das Gute stets einen Einsatz von uns verlangt, stets bedingt, dass wir dafür kämpfen. Ist dies auf kollektiver Ebene dasselbe, das stabile Gleichgewicht? Ist es dies, was Friedrich Dürrenmatt (Die Physiker) meint, wenn er sagt, dass eine Geschichte erst zuende gedacht ist, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat?
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