by Filifjonka | Jul 19, 2013
Im selben Text von Schopenhauer (Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten, Frankfurt 2005, 58) heisst es weiter:
Denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen Alle haben: Was bleibt das anderes übrig als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von Andern aufnehmen?
Und dann etwas weiter (59 f.):
Ueberhaupt wird man nun finden, dass wenn zwei gewöhnliche Köpfe mit einander streiten, meistens die gemeinsam von ihnen erwählte Waffe Autoritäten sind: damit schlagen sie aufeinander los. – Hat der bessere Kopf mit einem solchen zu thun, so ist das Räthlichste, dass er sich auch zu dieser Waffe bequeme, sie auslesend nach Maasgabe der Blössen seines Gegners. Denn gegen die Waffe der Gründe ist dieser ex hypothesi, ein gehörnter Siegfried, eingetaucht in die Flut der Unfähigkeit zu denken und zu urtheilen.
Ach ja, das kommt dem Juristen doch bekannt vor. Sind Rechtswissenschaft und Theologie nicht essentiell verwandte Wissenschaften (soweit sie denn Wissenschaften sind), lösen beide doch Divergenzen unter Rekurs auf Autorität. Aber Schopenhauer ist natürlich zu intelligent, um das nicht zu erkennen:
Vor Gericht wird eigentlich nur mit Autoritäten gestritten, die Autorität der Gesetze die fest steht: das Geschäft der Urteilskraft ist das Auffinden des Gesetzes d.h. der Autorität die im gegebenen Fall Anwendung findet. Die Dialektik hat aber Spielraum genug, indem, erforderlichen Falls, der Fall und ein Gesetz, die nicht eigentlich zu einander passen, gedreht werden, bis man sie für zu einander passend ansieht: auch umgekehrt.
Ist das nicht, was Epipur sagt?
by Filifjonka | Jul 19, 2013
ja, es giebt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten, sobald man es dahin gebracht hat sie zu überreden, dass solche allgemein angenommen sei. Das Beispiel wirkt auf ihr Denken, wie auf ihr Tun. Sie sind Schaafe, die dem Leithammel nachgehn, wohin er auch führt: es ist ihnen leichter zu sterben als zu denken.
Sagt Schopenhauer in seiner Eristik (Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten, Frankfurt 2005, 56). Und dann kommt gleich im Anschluss daran eine Passage, die wirklich nur einem Intellektuellen aus der Feder schlüpfen kann. Himmlisch:
Es ist sehr seltsam dass die Allgemeinheit einer Meinung so viel Gewicht bei ihnen hat, da sie doch an sich selbst sehn können, wie ganz ohne Urtheil und bloss kraft des Beispiels man Meinungen annimmt. Aber das sehn sie nicht, weil alle Selbsterkenntniss ihnen abgeht.
Ganz so, als wäre Selbsterkenntnis verbreitet oder auch nur erstrebenswert (vgl. Anatole France für die gegenteilige Ansicht.).
by Filifjonka | Jul 17, 2013
Spricht die Encyclopédie:
VERTU, (Ord. encyclop. Mor. Polit.) il est plus sûr de connoître la vertu par sentiment, que de s’égarer en raisonnemens sur sa nature ; s’il existoit un infortuné sur la terre, qu’elle n’eût jamais attendri, qui n’eût point éprouvé le doux plaisir de bien faire, tous nos discours à cet égard seroient aussi absurdes & inutiles, que si l’on détailloit à un aveugle les beautés d’un tableau, ou les charmes d’une perspective. Le sentiment ne se connoit que par le sentiment ; voulez vous savoir ce que c’est que l’humanité ? fermez vos livres & voyez les malheureux : lecteur, qui que tu sois, si tu as jamais goûté les attraits de la vertu, rentre un instant dans toi même, sa définition est dans ton coeur.
Und das von der scheinbar so vernunftbesessenen Aufklärung! Offenbar wusste man damals noch, dass der Kopf nicht wirklich zuverlässig ist. Hingewiesen sei nur nebenher auf Adam Smith und seine Theory of Moral Sentiments.
by Barnabas | Jul 9, 2013
“Ich will nicht behaupten, dass nur die Besten trinken, aber diese haben zumindest eine Ahnung von etwas, was sie nicht erreichen konnten, wonach sie sich schmerzlich verzehrten, etwas vielleicht, auf das mein Vater und ich an jenem Abend starrten, als wir beide vor dem Schober sassen und der farblose Himmel sich in unseren Augen spiegelte.”
Georges Simenon, Brief an meinen Richter, Ausgewählte Romane Band 26, Diogenes 2012, 43.
by Filifjonka | Jun 28, 2013
Und noch ein absolutes Highlight. Auch Dylan Thomas (1914-1953), der walisische Dichter, der sich zu Tode trank, wird bei uns leider viel zu wenig gelesen. Sein vielleicht bestes Gedicht überhaupt:
Do not go gentle into that good night
Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.
Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.
Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.
Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.
Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.
And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.
by Hatifnatten | Jun 27, 2013
und weil’s so schön war, hier nochmals ein Ausschnitt:
Von seinem Tod berichten vier Überlieferungen:
Nach der ersten wurde er in Sangerhausen von Bauern erschlagen, als er ihnen ihre bevorstehende Niederlage im Kampf gegen die Fürsten wahrheitsgemäss voraussagte und sich weigerte, mit ihnen gegen Mühlhausen zu gehen.
Nach der zweiten entkam er den Knüppeln der Bauern, wurde von den Soldaten des Herzogs von Sachsen in Mühlhausen aufgegriffen und als Späher der aufständischen Bauern im Narrenkostüm auf dem Marktplatz erhängt.
Nach der dritten Überlieferung rettete ihn der Herzog Georg von Sachen, nachdem Eulenspiegel die Bürger der Stadt mit seinen Verrenkungen unter dem Galgen vor Lachen fast um den Verstand gebracht hatte, liess ihn zur Siegesfeier auf sein Schloss bringen und zu Tode kitzeln, als Eulenspiegel kein Witz über die Dummheit der Bauern mehr einfiel.
Nach der vierten entkam er den betrunkenen Fürsten, ginge vier Jahre lang unerkannt durch das Land, die Bauern zur Tötung des Verräters Eulenspiegel aufrufend und wurde schliesslich vor dem Grabstein, den die Bürger der Stadt Mölln dem unsterblichen Clown Eulenspiegel gesetzt hatten, von Kindern wegen der Verhöhnung ihres totgeglaubten Helden erstochen.
Thomas Brasch: Eulenspiegel, in: Vor den Vätern sterben die Söhne, Bibliothek Suhrkamp 1355, Berlin 2012 [urspr. 1977], 123
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