More die of heartbreak

Warum zerfällt manchmal einfach alles, schmilzt Solides, verflüssigt und verflüchtigt sich, löst sich in Luft auf, als wäre es nie da gewesen? Könnte es einen anderen Grund geben, als den Mangel an Liebe? Sterben wir je an etwas Anderem, irgendetwas Anderem.

Spiessbürger

Er durchwanderte zuerst die Schweiz, das Mutter- und Musterland allen Spiessbürgertums von jeher …

Alice Berend, Die gute alte Zeit. Bürger und Spiessbürger im 19. Jahrhundert, Hamburg 1962, 62

Wahrheit und Bestand

Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und nichts wahr, was nicht bestehet.

[…]

Scheue niemand so viel als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du sinnest und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind doch wenn du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir vernehmlicher sprechen.

Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behände dahin fahren, da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schritts.

Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbass.

Matthias Claudius, An meinen Sohn Johannes, 1799

Déjeuner du matin

Il a mis le café
Dans la tasse
Il a mis le lait
Dans la tasse de café
Il a mis le sucre
Dans le café au lait
Avec la petite cuillère
Il a tourné
Il a bu le café au lait
Et il a reposé la tasse
Sans me parler
Il a allumé
Une cigarette
Il a fait des ronds
Avec la fumée
Il a mis les cendres
Dans le cendrier
Sans me parler
Sans me regarder
Il s’est levé
Il a mis
Son chapeau sur sa tête
Il a mis
Son manteau de pluie
Parce qu’il pleuvait
Et il est parti
Sous la pluie
Sans une parole
Sans me regarder
Et moi j’ai pris
Ma tête dans ma main
Et j’ai pleuré.

Jacques Prévert, Paroles, 1945

Ermutigen

Reicht, um nicht aufzugeben, dass wir dadurch anderen Mut machen, Ertrinkenden, Verzweifelnden wie wir selbst? Ist es nicht Veräusserung und Delegation unseres Ureigensten? Hat sich damit die Frage nicht schon selbst beantwortet?

Ist es richtig, dem Mut zu machen, der alleine nicht weiter kann? Verlängert das nicht bloss die Agonie? Da sich das Scheitern doch nicht meiden lässt. Ist es nicht Zeichen bloss unserer Schwäche, da wir das Leid (auch und gerade der Anderen) so schlecht ertragen?

Es gebe nichts zu beschützen, sagt Malkowski. Stimmt schon.
Aber die Liebe macht uns zu fürchterlichen Schwächlingen.

Und am Ende reicht wohl nicht einmal die Liebe mehr.

Regel und Entscheidung

Ein erwachsener Mensch wird sich immer vorbehalten, eine Situation selbst zu beurteilen. Er wird gerade nicht – wie dies wohl ein Kind tun würde, das von der Verantwortung überwältigt und überrfordert wird – auf irgendeine Regel – wie immer sie geartet sein möge – rekurrieren, weil er weiss, dass die Frage, ob eine Regel auf einen konkreten Fall anzuwenden sei, sich gerade nicht aus der Regel ableiten lässt, dass sie sich eigentlich aus gar nichts ableiten lässt, ausser der eigenen Entscheidung. Keine Regel enthält eine Meta-Regel, die ihre eigene Anwendbarkeit definieren würde.

Das aber heisst nichts anderes, als dass wir die Verantwortung für unsere Entscheidungen nicht los werden. Und weil wir für unsere Entscheidungen verantwortlich sind, hilft uns der Rekurs auf eine Regel nicht weiter. Obwohl wir uns nichts sehnlicher wünschten. als gerade dies.

Weil wir der Verantwortung, die wir fliehen, so gut es eben geht, nicht entkommen können, hilft uns die Regel nicht weiter, es sei denn als Legitimation gegenüber den Gartenzwergen, die vom Drama der Entscheidung nichts ahnen (oder nichts ahnen wollen).

Spiele spielen

They are playing a game. They are playing at not
playing a game. If I show them I see they are, I
shall break the rules and they will punish me.
I must play their game, of not seeing I see the game.

R. D. Laing, Knots, London 1970

Aus- und Einwandern

Es gibt Menschen, so hört man, die wollen auswandern, weil der frisch gewählte Präsident ihres Landes nicht nach ihrem Geschmack ist. Und dann gibt es Menschen, die ihr Land verlassen wollen, weil sie verfolgt und getötet werden, oder weil sie dort schlicht verhungern. Wie stehen die einen wohl zu den anderen, so fragt man sich.

Tout, c’est-à-dire presque rien

Un craquement, le silence. Un murmure, personne.
Une pensée, le néant. Un souvenir, parti.
Une présence vide.
Une mélodie, nulle-part. Un instant, jamais.

Alain über Dummköpfe

L’on a donné un prix Nobel au romancier anglais Kipling. Voilà un choix que j’approuve tout à fait. Justement, ces jours, je lisais quelques récits de cet auteur, et je prenais en pitié nos petits romanciers de quatre sous, couronnés par l’Académie française. Pourquoi? Parce que ce sont des sots. Et à quoi peut-on reconnaître un sot? A ceci qu’il n’explique pas quand il faudrait et qu’il explique quand il ne faudrait pas. […]

Alain, Propos,  La Pléiade – Gallimard, 1956, p. 23 s.

Messbarkeit, Berechenbarkeit und Mathematik

Jean François Billeter, ein basler Sinologe, schreibt in seinem letzten Buch “Esquisses” über Sprache, Sinn, Systeme und Kapitalismus.

Einige Zeilen des Buches betreffen die Messbarkeit, Berechenbarkeit und Mathematik. Seine Analyse ist scharfblickend:

Un nouveau processus s’est enclenché au début de l’âge moderne en Italie. Les marchands se sont mis à appliquer à leurs marchandises la science de la géométrie et d l’algèbre. Cette pratique a mené à l’idée que toute la réalité matérielle pouvait être mesurée et représentée par des figures et des nombres. Cette idée a provoqué un essor sans précédent des sciences de la nature et des arts mécaniques. La réalité semblait devenir totalement intelligible, mais c’était au prix d’une nouvelle scission au sein de l’activité humaine, car le langage mathématique relève exclusivement de la fonction. Il ignore les synthèses imaginaires qui donnent leur sens aux mots et qui naissent en nous par intégration d’éléments de notre expérience. Il exclut l’imagination, seule créatrice de sens, mais s’est imposé comme une rationalité supérieure à cause de sa rigueur, de ses développements infinis et de son efficacité pratique.

(Jean François Billeter, Esquisses, Allia,  Paris 2016)

Unsere Zeit

Erschreckend, nicht wahr, mit welcher Präzision bereits 1930 unsere gegenwärtige Situation beschrieben wird.

Nun, das ist ja alles natürlich ganz unwichtig, zumal in so ernsten Zeiten, da ringsum ein Scharren ist, als würden Stühle gerückt zur Tagung des Jüngsten Gerichts, da die Börse bebt, donnernd die Tresors und Hirne platzen und man sieht, dass nichts drinnen ist, die Gewissheiten Fragezeichen ausspeien und eine ungeheure Lebens-Angst alle Atmenden schüttelt.

Alfred Polgar: An den Rand geschrieben, Berlin 1930, 151.

Gewaltbereitschaft

Heute gehört (SRF 4 News):

Gewaltbereitschaft sei auffällig oft bei jungen Männern zu finden. Aha. Diese Bereitschaft sei aber nicht nur auf den Islam zurückzuführen. Ach so!

Beim Waffengebrauch durch die Polizei wird dann aber selbstverständlich politisch korrekt gegendert, denn die männliche Gewaltbereitschaft wird natürlich von beiden Geschlechtern bekämpft (wobei natürlich die Polizistinnen zuerst erwähnt werden, schliesslich bilden sie ja auch das Gros der Einsatzkräfte). Die Polizeipersonen wenden entsprechend politisch korrekt Gewalt gegen die Mannspersonen an. Hallelujah!

Moritz Schlicks Ermordung

Egon Friedell (1878-1938) schreibt an Lina Loos (1882-1950) über die Ermordung von Moritz Schlick (1882-1936), Philosophie-Professor und Begründer des Wiener Kreises, durch seinen Doktoranden, Hans Nelböck (1903-1954), der ihn fälschlicherweise für einen Juden hielt. Friedell – wie immer – interessiert an der Philosophie bzw. Logik:

Hast Du den Prozess des Dr. Nelböck verfolgt? Der den Prof. Schlick erschoss? Der Fall ist ziemlich kompliziert. Schlick war Positivist. Ein Positivist ist ein Philosoph, der nichts als existent anerkannt ausser a) die Materie, b) deren Bewegungen, c) die Sinnesempfindungen, die durch die Bewegungen der Matene hervorgerufen werden.

Es ist klar, dass ein solcher Mensch erschossen werden muss, nur ist es nicht logisch, dass gerade ein Antipositivist wie Dr. N. es tut. Denn der hat kein Recht zu schiessen. Das hätte nur ein Positivist. Der hätte aber wieder keinen Grund, denn er ist ein Gesinnungsgenosse. Also wer soll ihn erschiessen?

Schreibe bald wieder, es küsst Dich

Egon