Plagiat und Stil

Nach einer Publikation von Anton Kuh im Berliner »Querschnitt” schrieb Egon Friedell an Kuh:

(Wien, 1931)

Sehr geehrter Herr!

Überrascht stelle ich fest, dass Sie meine bescheidene Erzählung „Kaiser Josef und die Prostituierte” unverändert, nur mit Hinzufügung der drei Worte „Von Anton Kuh”, im „Querschnitt” veröffentlicht haben. Es ehrt mich selbstverständlich, dass Ihre Wahl auf meine kleine launige Geschichte gefallen ist, da Ihnen doch die gesamte Weltliteratur seit Homer zur Verfügung gestanden hat. Ich hätte mich deshalb auch gern revanchiert, aber nach Durchsicht Ihres ganzen Oeuvres fand ich nichts, worunter ich meinen Namen setzen möchte.

Egon Friedell

zu  finden in : Egon Friedell: Briefe,  Wien: Prachner  o.J. [1959]

Logik

Weil der seit Monaten bestehende Ausnahmezustand in Frankreich ganz offenbar den Anschlag in Nizza nicht verhindert konnte, hat man ihn jetzt um sechs Monate verlängert. Das leuchtet natürlich ein.

Spute Dich! Das Leben vergeht rasend schnell

Das nächste Dorf

Mein Großvater pflegte zu sagen: „Das Leben ist erstaunlich kurz. Jetzt in der Erinnerung drängt es sich mir so zusammen, daß ich zum Beispiel kaum begreife, wie ein junger Mensch sich entschließen kann ins nächste Dorf zu reiten, ohne zu fürchten, daß — von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen — schon die Zeit des gewöhnlichen, glücklich ablaufenden Lebens für einen solchen Ritt bei weitem nicht hinreicht.“

Franz Kafka. Aus: Ein Landarzt, Leipzig 1919

Affichage interdit ou métaphysique de la règle

“Affichage interdit!”, voilà ce que peuvent lire les passants sur cette place d’une ville du Sud de la France. Une écrasante majorité des piétons n’y prête pas attention, certains lisent l’inscription et s’interrogent…

Cette règle ne figure-t-elle pas sur une affiche placardée à l’endroit précis où son auteur souhaite ne pas voir d’affiches? Comment une règle peut-elle se contredire de par sa simple existence?

La recette est simple, tout est dans la proclamation. Prenez une norme bien banale interdisant une pratique quelconque. Arrangez-vous pour l’énoncer sur un support ou d’une manière qui contrevienne à elle-seule à cette même norme. Vous aurez alors deux règle: l’une énoncée, l’autre implicite, que l’on peut qualifier de méta-règle, affirmant la validité de la première règle en dépit de sa transgression originaire. Après tout, une règle n’est-elle pas plus claire du simple fait qu’elle illustre elle-même en quoi consiste sa transgression?

Il est interdit d’interdire. Il ne faut jamais dire jamais. Faites ce que je vous dis, non ce que je fais.

Si nous quittons le droit, un tel procédé permet d’expliquer la grammaire anglaise avec humour:

Don’t use no double negatives.

Verbs has to agree with their antecedents.

The passive voice is to be avoided.

a sentence should begin with a capital letter and end with punctuation

Prepositions are not words to end sentences with.

Au-delà du jeu d’esprit qui peut s’avérer distrayant, du moins quelques secondes, ce type d’énoncés met en lumière le caractère d’attente contrefactuellement stabilisée de la règle de droit, à savoir le fait que la règle vaut et existe même si elle est transgressée dans les faits. C’est là sa composante normative. Elle exprime un souhait qui n’est en rien anéanti par le fait qu’il ne se réalise pas toujours.

Ces exemples nous montrent en outre qu’aucune règle ne peut définir elle-même son champ d’application ni sa validité sous peine de souffrir de circularité.

Un Crétois dit: “Tous les crétois sont des menteurs.” En supposant que l’affirmation “tous les crétois sont des menteurs” est vraie, le crétois qui la prononce est un menteur et donc l’affirmation qu’il prononce est fausse (contradiction). Si l’on suppose que l’affirmation est fausse, alors le crétois qui la prononce n’est pas un menteur et l’affirmation est donc vraie (contradiction).

Qu’entend-on par “menteur”? Faut-il comprendre ce mot comme faisant référence à une personne qui ne dit jamais la vérité ou comme faisant référence à une personne qui, au cours de son existence, a déjà dit ne serait-ce qu’un seule fois un mensonge. Quand ment-on? Ment-on lorsque l’on ne dit pas la vérité ou lorsque l’on ne dit pas ce que l’on pense être vrai? À moins que la règle énoncée ne suppose une meta-règle selon laquelle la première règle ne vaut pas dans ce cas précis…

Aussi loin que l’on regarde, la règle est vide, sans fondement propre. Seule la réalité a un fondement: elle-même.

Comment agir? Qu’est-ce qui est juste, qu’est-ce qui est faux? Tout est relativité, interprétation, contingence. En un mot, tout application d’une règle implique un choix.

Täuschungen bauen die Welt

Held meines Buches ist der Mensch in seinem stockdunklen Drange. Seine Anstrengungen, sich über das Mass der Leiden, die ihm aufgebürdet sind, hinwegzutäuschen, bauen die Welt und bestimmen deren Lauf.

Alfred Polgar, In der Zwischenzeit, Amsterdam 1935, 11

Warum Touristen Auschwitz wie den Eiffelturm besuchen

Es ist nicht so lange her, vielleicht erinnern Sie sich noch. Vor etwa drei Jahren habe ich an dieser Stelle über eine Postkarte aus Auschwitz berichtet.

Damals war Ironie der einzige Weg, meine Empörung auszudrücken. Wie können Touristen Auschwitz in genau derselben Art und Weise besuchen wie den Eiffelturm? Wie kann man in Birkenau sorg- und schamlos in der Sonne liegen?

unspecified

Eine mögliche Antwort findet man im Buch Wir Eichmannsöhne: offener Brief an Klaus Eichmann von Günther Anders:

“Was hat das ‘Monströse’ möglich gemacht? […] Wie und wodurch kann es da zum ‘Monströsen’ kommen?

Antwort: dadurch, dass unsere Welt, obwohl von uns selbst erfunden und errichtet, durch den Triumph der Technik so ungeheuer geworden ist, dass sie aufgehört hat, in einem psychologisch verifizierbaren Sinne wirklich noch ‘unsere’ zu sein. Dass sie uns ‘zuviel’ geworden ist. Und was heisst das wieder?

Erst einmal, dass dasjenige, was wir nun machen können (und was wir deshalb wirklich machen) grösser ist als dasjenige, wovon wir uns ein Bild machen können ; dass sich zwischen unserer Fähigkeit der Herstellung und der der Vorstellung eine Kluft aufgetan hat, und dass sich diese von Tag zu Tag verbreitert ; dass unsere Kapazität der Herstellung, da der Steigerung der technischen Leistungen keine Grenze gesetzt, masslos, die unser Vorstellung von Natur aus beschränkt ist. Einfacher ausgedrückt: dass die Objekte, die wir heute mit Hilfe unserer uneindämmbaren Technik zu erzeugen gewohnt sind, und die Wirkungen, die wir auszulösen imstande sind, nun so gross und so brisant sind, dass wir sie nicht mehr auffassen, geschweige denn als unsere eigenen identifizieren können. – Und natürlich ist es nicht nur die übermässige Grösse unserer Leistungen, die unsere Vorstellungskraft überfordert, sondern auch die grenzenlose Vermittlung unserer Arbeitsprozesse. Sobald wir dazu angestellt werden, einen der zahllosen Einzelhandgriffe, aus denen sich der Produktionsprozess zusammensetzt, durchzuführen, dann verlieren wir nicht nur das Interesse am Mechanismus als ganzem und an dessen Letzteffekten, vielmehr sind wir dann auch der Fähigkeit beraubt, uns davon ein Bild zu machen. Ist ein maximaler Grad von Inndirektheit überschritten – und in der heutigen industriellen geschäftlichen und administrativen Arbeit ist das der Normalfall – dann versagen wir, nein, dann wissen wir noch nicht einmal, dass wir versagen, dass es unsere Aufgabe wäre, uns vorzustellen, was wir tun.”

Günther ANDERS, Wir Eichmannsöhne : offener Brief an Klaus Eichmann,  3. Aufl. , C.H. Beck, München 2002 (1964), S. 24 f.

Die Kluft von der Anders spricht, hat nicht nur einen Völkermord vor mehr als 50 Jahren erlaubt, sondern existiert auch heute noch.

Man kann sie überall beobachten, wenn man gut genug hinschaut. Sie nimmt unerwartete Formen an, bleibt aber bestehen und verbreitet sich allmählich.

Sei es Technik, Abstraktion, Medialität oder Indirektheit, wir verlieren unsere Einsicht, wir erkennen unsere Realität nicht mehr.

Was damals in Auschwitz passiert ist, übersteigt unsere Vorstellungskraft. Vor dieser Kluft aber soll man sich aber nicht hinlegen und aufgeben, sondern hinschauen und immer wieder versuchen, zu verstehen.

“Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem.”

 

Es scheint, dass eine kritische Meinung zur EU als Problem wahrgenommen wird. Mal abgesehen davon, dass nach Ansicht des deutschen Bundespräsidenten Eliten und Bevölkerung offenbar zwei unterschiedliche, man will es kaum aussprechen, Menschenmassen darstellen. Und es dürfte wenig verwundern, wenn versucht würde, diese Unterscheidung, die einem Bundespräsidenten so einfach über die Lippen geht, früher oder später auch rechtlichen zu fixieren.

Europäisches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit

So so, die EU ist verärgert. Ihr Parlaments-Präsident, der deutsche Martin Schulz, sei weiss vor Wut geworden, wie der Spiegel zu berichten weiss, nicht etwa wegen des Brexit, sondern wegen der Rücktritts-Ankündigung von Cameron:

Bis dahin war die Stimmung “bemüht ruhig”, berichteten Teilnehmer später. Doch was der britische Premier dann sagte, “ließ einigen den Kragen platzen”. Schulz etwa sei “weiß vor Wut gewesen” und habe seine Stimmung mit einem Schlag auf die Tischplatte betont. Der Grund: Cameron hatte soeben angekündigt, zurückzutreten – allerdings nicht sofort, sondern erst im Oktober. Die Verhandlungen über den Austritt aus der EU wolle er seinem Nachfolger überlassen.

Das Problem daran:

Die Entscheidung über den Beginn der Austrittsverhandlungen trifft London. Laut Artikel 50 der EU-Verträge muss ein Land, das aus der Union austreten will, die Gemeinschaft über diese Absicht informieren. Gabi Zimmer, Vorsitzende der Linksfraktion im Europaparlament, hat die EU-Kommission um Prüfung gebeten, ob das Referendum bereits als Auslöser der Austrittsverhandlungen gesehen werden könnte. Doch schon wenig später winkte ein Rechtsexperte der Kommission ab: Der Startschuss sei Sache des betroffenen Mitgliedslands, das Referendum selbst genüge nicht.

Die Rechtslage scheint indes nicht wirklich von Belang. Denn Schulz insistiert weiter und fordert (fordert!) einen Austrittsantrag bis in zwei Tagen. Ganz ähnlich wie die Einführung von Grenzkontrollen entgegen allen EU-Regeln, das Abkommen mit der Türkei entgegen allen internationalen Erlassen zum Flüchtlingsrecht, ist das Recht offenbar bedeutungslos, vorausgesetzt nur, derjenige, der sich nicht dran halten will, ist mächtig genug.

Und da fragen sich diese Leute tatsächlich, warum man sie nicht mag.

Bliss

Mein Sohn hätte nach der Titelrolle meines Lieblingsdramas heissen sollen. Ich habe das nicht durchsetzen können und er hat mir jahrelang gesagt, wie glücklich er darüber ist. Nach vielen Jahren des vergeblichen Bittens hat er das Stück doch noch gelesen. Und heute, nach all der Zeit, hat er mir gestanden, wie sehr es ihm gefällt. Nun gibt es zwei Menschen, die verstehen.

Und ich kann nicht aufhören zu weinen.

Wie einsam sind wir doch am Ende, dass wir so unendlich dankbar sind, wenn wir es auch nur für einen winzigen Augenblick nicht zu sein brauchen.

Strukturen der Macht

Es sei ein historischer Moment, meinte Hilary Clinton, wenn sie bald nominiert werde. Sie betonte dabei ihr Geschlecht. Mit dieser Wahl nämlich sei zum ersten Mal eine Frau Präsidentschaftskandidatin, und möglicherweise Präsidentin.

Einige Jahre zuvor hatten die USA den Sohn eines ehemaligen Präsidenten zu ihrem Präsidenten gewählt. Und in Kanada regiert gegenwärtig der Sohn eines ehemaligen Präsidenten das Land. Und wir wollen gar nicht weiter über andere familiäre Vernetzungen in der Politik sprechen (oder gar der Wirtschaft, genannt sei nur Belinda Gates). In einer Mediengesellschaft hilft es, mit einer bekannten Person verbunden zu sein und ihren Namen zu tragen. Es könnte also tatsächlich wichtig sein, dass Frau Clinton eine Frau ist, nämlich die Frau eines ehemaligen Präsidenten.

Lernen

Es bleibt verstörend, wie tief wir uns selbst verletzen müssen, und mehr noch, wie häufig wir es wiederholen müssen, bis wir endlich bereit sind, zu glauben, was wir eigentlich schon lange mit Bestimmtheit wissen.

Vielleicht gelingt es uns auch gar nicht; vielleicht ermüden wir nur.