by Titiuuh | May 17, 2020
O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt, und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein misrathener Sohn, den der Vater aus dem Hause stiess, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.
Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland, Bd. 1, Tübingen 1797, 12.
by Filifjonka | May 16, 2020
Er stand im Nichts. Die Balkongeländer waren noch nicht angebracht. Am Eingang hing zwar ein Zettel: «Balkon betreten streng verboten»; und obwohl Kirch diesen Zettel jeden Tag gelesen hatte, wusste er doch nicht, was auf ihm geschrieben stand, denn ihm schauderte instinktiv vor jedem Verbot. Er nahm nur zur Kenntnis, was ihm behagte. Da ihm die winterliche luftige Frische behagte, trat er einen Schritt vor. Dann noch einen. Und dann stürzte er ab.
Istvan Örkeny, Schlechter Traum, in: Gedanken im Keller, Berlin: Eulenspiegel, 2. Auflage, 118 f.
by Filifjonka | May 9, 2020
Der Ball war durch das eingeschlagene Fenster in den Kellergang gefallen.
Eines der Kinder, das vierzehnjährige Mädchen des Hausmeisters, hinkte ihm hinterher. Die Strassenbahn hatte der Ärmsten ein Bein abgefahren, so war sie schon glücklich, wenn sie den anderen den Ball bringen konnte.
Im Keller herrschte Halbdunkel, ihr war aber dennoch so, als hätte sich etwas in einer der Ecken bewegt.
»Mietzil« Das Hausmeistertöchterchen mit dem Holzbein blieb stehen. »Wie kommst du denn hierher, Mietzilein?«
Doch dann griff sie nach dem Ball und eilte, so schnell sie nur konnte, mit ihm davon.
Die alte, garstige und stinkige Ratte — von der das Mädchen geglaubt hatte, sie sei die Katze — stutzte. So hatte noch nie jemand zu ihr gesprochen.
Man verabscheute sie nur immer, bewarf sie mit Kohlen oder floh entsetzt vor ihr.
Erst jetzt kam ihr zum Bewusstsein, wie anders alles hätte sein können, wäre sie zufällig als Katze geboren.
Ihre Gedanken gingen sogar noch weiter — denn sie war unersättlich! Wenn sie nun gar die Hausmeisterstochter mit dem Holzbein wäre? Doch das wäre zu schön. Das konnte sie sich nicht einmal mehr vorstellen.
Istvan Örkeny, Titelgeschichte aus: Gedanken im Keller, Berlin: Eulenspiegel, 2. Auflage, 118 f.
by Hatifnatten | May 5, 2020
Da schwadroniert ein Journalist, offenbar Spezialist für den Nordpol, von den (nein, Eskimos sagen wir nicht mehr, und auch nicht indigene, sondern) Ureinwohnern bzw. weil auch das ein wenig herablassend klingt, von den First Nations (man muss schon historisch und philosophisch extrem unbedarft sein, oder vielleicht einfach Amerikaner, um diesen extrem heiklen Begriff positiv zu verwenden, positiver als anderes). Er schwadroniert aber nicht nur von First Nations, sondern schwurbelt auch davon, dass diese Bevölkerungsgruppe extrem schlechte Karten habe gegenüber Corona, denn ein Grossteil der Männer rauche sehr viel.
Wie bitte? WIrklich? Nichts davon gehört, dass Nikotin offenbar das Ansteckungs- und Erkrankungsrisiko massiv vermindert? Rachen ist schlecht, und in einer puritanisch-monolithen Kultur ist das unbestreitbar, weshalb es eben auch nicht sein kann, dass es gerade jetzt einen Vorteil darstellen sollte.
Hier der Artikel im Economist.
Das muss dort, wo man wenigstens akzeptiert, dass es wahr sein könnte, immer kombiniert werden mit dem Hinweis, dass es trotzdem keine gute Idee sei, mit dem Rauchen anzufangen (hier z.B.).
by Titiuuh | May 5, 2020
She was so unlike the Swiss girls whom I would see every day in the street, their faces pretty and fresh, all butter and cream, and their eyes blank with an invulnerable lack of experience.
Graham Greene, Doctor Fischer of Geneva and the bomb party, London 1980, 14
by Titiuuh | May 4, 2020
Eines der besten Bücher eines der besten Autoren. Und eine wunderbare Passage, die den Charakter des Erzählers in wenigen Worten skizziert.
I doubt if one ever ceases to love, but one can cease to be in love as easily as one can outgrow an author one admired as a boy. The memory of my wife faded quickly enough and it was not constancy which stopped me from looking for another wife – to have found one woman who accepted me as a lover in spite of my plastic imitation of a hand and my unattractive income had been a near miracle, and I couldn’t expect a miracle like that to be repeated. When the necessity to have a woman became imperative I could always buy a copulation, even in Switzerland, after I had found my employment in the chocolate factory to augment my pension and the little which I had inherited from my parents (very little it was, but as their capital had been invested in War Loan, at least it paid no English tax).
Grahame Greene, Doctor Fischer of Geneva and the bomb party, London 1980, 12 f.
by Titiuuh | May 4, 2020
Heute im Parlament. Martin Landolt, seines Zeichens Präsident der BDP, lehnt die Forderung nach einem Ende des Notrechts ab. Mit folgender Begründung:
«wenn das 26 Kantonsregierungen akzeptieren, muss auch das Parlament der Versuchung widerstehen, sich als Schattenregierung aufzuspielen.»
Ausgedeutscht: Wenn schon die kantonalen Exekutiven hinnehmen, dass die nationale Exekutive am Parlament vorbei regiert, muss sich dieses doofe Parlament doch nicht aufspielen. Unglaublich! Das Parlament spielt sich als Schattenregierung auf, wenn es die ihm zukommenden (und alleine ihm zukommenden) Kompetenzen wahrnehmen will.
Das ist das Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat, zumindest in Teilen unseres Parlamentes.
Dass die ausführende Gewalt ein Parlament nicht achtet, das sich selbst verachtet, scheint verständlich.
by Titiuuh | Apr 29, 2020
Bundesrätin Karin Keller-Suter (und mit ihr die Medien) empfehlen Schweizerinnen und Schweizern (ganz wichtig natürlich, wie immer, dass beide Geschlechter erwähnt werden) Ferien in der Schweiz. Aber – so fragt man sich – was machen die übrigen 25% der Bevölkerung?
by Titiuuh | Apr 27, 2020
Ein Traum aus dem Traumtagebuch von Graham Greene:
The U.S.S.R.
I was walking with four companions through Moscow at night, but a KGB car frightened my friends ands they left me alone. I thought it best to go up to the KGB officers of my own accord and ask the way to the Europa Hotel. The officers said, «Get in the car. We’ll take you there.» At the hotel someone brought a high-chair for the second officer, and I could see now that he was a dwarf. I asked im why people were not allowed in the streets at night. He replied, «We want the streets to be safe.» I said, »Safe from whom, if nobody’s allowed in them?» He admitted that I had a point there he hadn’t thought of.
Graham Greene. A World of My Own, London: Reinhardt Books 1992, 91.
by Filifjonka | Apr 25, 2020
Ein Herr Scheuermann schreibt am 13. Juli 2019 im Nachrichtenmagazin Spiegel,
er [Alexander Acosta] war es, der 2007 mit ihm [Jeffrey Epstein] einen Vergleich schloss – bei dem die Opfer überhaupt nie angehört wurden. Sie wurden damit auch indirekt als Prostituierte gebrandmarkt.
Lassen wir einmal die Frage, ob man jemanden alleine dadurch klassifizieren kann, dass man ihn nicht anhört, so bleibt doch die quälende Frage, ob man tatsächlich auch heute, im Jahr 2020, jemanden als Prostituierte «brandmarken» kann. Das Verb «brandmarken» kommt vom Brauch, Tiere mit einer Brandmarke zu versehen, um das Eigentum daran anzuzeigen. Bei Menschen wurde die Brandmarke verwendet, um sie öffentlich blosszustellen (vgl. etwa Nathaniel Hawthorne, The Scarlett Letter, 1850), aus der Gemeinschaft auszustossen, sie zu stigmatisieren. Kann es wirklich sein, dass wir – Europa im Jahr 2020 – jemanden «brandmarken», wenn wir sagen (was ja in casu gar nicht geschehen ist), er prostituiere sich? Nicht ernsthaft, oder?
Ich habe nicht weitergelesen.
by Flobär | Apr 25, 2020
Die grosse Mehrheit der Journalisten, so scheint es jedenfalls, hat mit Demokratie und Pluralismus nicht viel am Hut. Achte Dich einmal, wie stur und einheitlich sie von einem «Flickenteppich» reden, wenn sie beschreiben wollen, dass verschiedene Modelle oder Regelungen bestehen.
Mir scheint, dass damit sehr deutlich gesagt wird, Einheitlichkeit und Standardisierung seien Diversität und Vielfalt vorzuziehen. Was daran gut sein soll, erschliesst sich mir nicht. Wenn alle Dasselbe machen sollen, stellt sich sofort die Frage, was denn für alle das Richtige sei. Eine Frage, die sich eben kaum für alle gleich beantworten lässt. Tun alle dasselbe, begehen alle denselben Fehler, wenn es falsch ist.
Standardisierung und Einheitlichkeit haben einen hohen Preis.
by Filifjonka | Apr 24, 2020
Die Schweizer Medien berichten heute, dass die Universität Zürich der 86jährigen Jane Goodall den Ehrendoktor verliehen habe, zum 187. Gründungstag der Universität und zum ersten Mal virtuell bzw. digital.
Und? Wo ist das Problem?
Nun, ganz einfach, dass es so tut, als wäre es eine Nachricht über Jane Goodall. Das stimmt aber nicht. Goodall hat bereits 11 Ehrendoktorate von Universitäten in der ganzen Welt erhalten. Der 12. ist also nichts Besonderes. Und dass die Universität Zürich als 12. Universität einer 86jährigen Person einen Ehrendoktor verleiht, spricht nicht für Mut, Innovationskraft oder Phantasie, sondern für deren Gegenteil. Die einzige Nachricht, die in dieser Nachricht enthalten ist, besteht darin, dass die Uni Zürich offenbar 187 geworden ist. Das aber interessiert natürlich niemanden, ausser der Universität selbst.
by Filifjonka | Apr 23, 2020
In der Schweiz müssen Frauen keinen Militärdienst leisten. Das sei zwar diskriminierend, so das Bundesgericht, aber es sei eine von der Verfassung gewollte Diskriminierung. Zum Ausgleich dafür müssen Frauen … in allen Reglementen des Militärs erwähnt werden.
by Filifjonka | Apr 22, 2020
Mit nur einem Bein im Leben stehen.
by Filifjonka | Apr 22, 2020
Kunden und Wähler dort abholen, wo sie nicht sind.
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